Heute gibt es in fast jeder Schulklasse mindestens ein Kind, das ohne “künstliche Befruchtung” dort nicht sitzen würde. Kinderwunschbehandlungen nehmen deutlich zu.
In Deutschland sind zwischen 1997 und 2022 mehr als 412.00 Kinder durch In-vitro-Fertilisation (IVF) zur Welt gekommen. Das entspricht der Einwohnerzahl von zwei großen Städten wie Mülheim an der Ruhr und Magdeburg zusammen.
Kinderwunschbehandlungen gewännen deutlich an Bedeutung, teilte das Deutsche IVF-Register am Wochenende in Düsseldorf in seinem Jahrbuch 2023 mit. Somit gebe es statistisch gesehen in jeder Schulklasse ein bis zwei Kinder, die ohne die Reproduktionsmedizin nicht geboren worden wären. Etwa jedes sechste Paar habe Schwierigkeiten, auf natürlichem Weg schwanger zu werden.
Elektronische Daten erhebt das Register seit 1997. Insgesamt wurden in Deutschland bislang 2,5 Millionen Behandlungszyklen durchgeführt. Wurden 1997 rund 6.500 Kinder nach einer Kinderwunschbehandlung geboren, waren es 2022 bereits 22.295. 2023 stieg die Zahl der Behandlungszyklen um knapp drei Prozent auf 131.000. Im Jahr 1978 war mit Louise Brown in Großbritannien das erste Kind nach In-Vitro-Fertilisierung zur Welt gekommen. In Deutschland kam das erste so gezeugte Baby 1982 zur Welt.
2023 startete die Kinderwunschbehandlung in 64,1 Prozent der Fälle mit einer Eizellentnahme, während 35,9 Prozent auf eine zuvor eingefrorene Reserve zurückgriffen. Auch Behandlungen mit Spendersamen sind stark angestiegen: Sie nahmen von 1.129 im Jahr 2018 auf 2.610 im Jahr 2022 zu. In mehr als der Hälfte der Fälle liegt die Ursache der Kinderlosigkeit beim Mann, häufig wegen eingeschränkter Spermaqualität.
Das vorsorgliche Einfrieren von unbefruchteten Eizellen ohne medizinischen Grund (social freezing), der Transfer eines einzigen Embryos und das Auftauen eingefrorener Eizellen liegen laut Register im Trend. Gestiegen sind auch die Behandlungen von Frauen, die ohne Partner Mutter werden wollen, sowie von lesbischen Paaren.
Das Einfrieren von Eizellen aus nicht-medizinischen Gründen ist umstritten, weil es immer wieder so interpretiert wurde, dass Frauen ihre Schwangerschaft auf Druck von Arbeitgebern verschieben. Diese Sichtweise habe sich jedoch gewandelt, sagte der neue Vorstandsvorsitzende des Registers, Andreas Tandler-Schneider. Von 2020 bis 2023 hätten sich die jährlichen Behandlungszahlen mehr als verdoppelt und lägen aktuell bei 3.700.
Unterdessen gehen die Mehrlingsgeburten laut Register dank des “Single Embryo Transfers” deutlich zurück. Dabei wird aus mehreren im Reagenzglas erzeugten Embryonen ein einzelner Embryo mit hohem Entwicklungspotenzial ausgewählt und anschließend in die Gebärmutter implantiert. Kritiker befürchten, dass dieses Vorgehen das Einfallstor für eine Selektion nach bestimmten Kriterien wie Geschlecht, Augen- oder Haarfarbe werden könnte. Umgekehrt bergen Mehrlingsschwangerschaften gesundheitliche Risiken für Mutter und Kinder.
Von 2017 bis 2022 sei die Mehrlingsrate bei Behandlungszyklen mit frisch gewonnenen Eizellen von 22 Prozent auf 12 Prozent und bei aufgetauten Eizellen von 15 Prozent auf 8 Prozent gesunken, sagte der Düsseldorfer Mediziner Jan-Steffen Krüssel, der Vorstandsmitglied des Registers ist.
Mit Blick auf die Altersstruktur der Patientinnen betonen die Reproduktionsmedizinerinnen und – mediziner, dass ein Behandlungserfolg stark altersabhängig sei. Die Schwangerschaftschance pro Embryotransfer bei Frauen im Alter von 30 bis 34 Jahren liege bei 39,3 Prozent, während die Geburtenrate in dieser Altersgruppe 31,2 Prozent erreiche, sagte Tandler-Schneider mit Blick auf die aktuellen Auswertungen. Ab dem 41. Lebensjahr sinken diese Chancen jedoch deutlich: Bei Frauen im Alter von 41 bis 44 Jahren beträgt die Schwangerschaftsrate nur noch 17 Prozent und die Geburtenrate fällt auf lediglich 8,4 Prozent.
Der Bericht betont, dass die fortpflanzungsmedizinischen Techniken sicher seien. “Das Risiko einer Überstimulation durch Hormontherapie liegt bei nur 0,2 Prozent, und Komplikationen wie Blutungen nach der Eizellentnahme treten in etwa 0,8 Prozent der Fälle auf”, heißt es in den aktuellen Auswertungen.