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„Man war großzügig im Vergessen“

Etwa jeder fünfte evangelische Pfarrer war Mitglied der NSDAP. Der Historiker Manfred Gailus hat ein Buch über die Geschichte der Evangelischen Kirche in der NS-Zeit herausgegeben. Reiner Zilkenat in Gespräch mit Manfred Gailus.

Von Manfred Gailus

Herr Gailus, auf dem Titelbild des von Ihnen herausgegebenen Bandes sehen wir einen evangelischen Geistlichen im Ornat. Hinter ihm haben sich SA-Leute mit Hakenkreuz-Standarten postiert. Es handelt sich offensichtlich um einen Feldgottesdienst. War es typisch für die Nazizeit, dass sich evangelische Pfarrer dazu hergaben, Gottesdienste für die SA durchzuführen?Das war durchaus üblich, zumindest in den Anfangsjahren des „Dritten Reiches“. Das Foto auf dem Titelbild zeigt einen Berliner Pfarrer und steht für viele ähnliche Ereignisse im Jahre 1933. Denn dieses Jahr war von Seiten der Kirchen gekennzeichnet durch freudige Zustimmung zum nationalsozialistischen Umbruch.Wie viele Pfarrer in Berlin waren bereits vor dem 30. Januar 1933 Mitglied der NSDAP oder der SA beziehungsweise wurden es kurz nach der Machtergreifung?Vor dem 30. Januar gab es etwa 25 Pfarrer, die sich der NSDAP angeschlossen hatten, nach diesem Datum steigt diese Zahl dann rasant. Schließlich war etwa jeder fünfte Pfarrer in Berlin Mitglied der NSDAP. Es gab darüber hinaus die „Deutschen Christen“. Das waren Protestanten, die öffentlich bekundeten, überzeugte Nationalsozialisten zu sein. Hier waren nach 1933 ungefähr 40 Prozent aller evangelischen Pfarrer in Berlin, zumindest zeitweilig, organisiert.Neben den „Deutschen Christen“ gab es die „Bekennende Kirche“, die häufig als Oppositionsbewegung gegen bezeichnet wird. Nun haben Sie im Ergebnis Ihrer Forschungen ein sehr differenziertes Bild der „BK“ gezeichnet.Das Wort „Opposition“ gegenüber dem Nationalsozialismus sollte man im Zusammenhang der „Bekennenden Kirche“ nicht in den Mund nehmen. Der „BK“ ging es um ein Zurückdrängen des wachsenden Einflusses der „Deutschen Christen“ innerhalb der Kirche. Das hatte von Seiten der „Bekennenden Kirche“ nichts mit einer grundsätzlichen Ablehnung des NS-Regimes zu tun. Allerdings existierte bald eine „gespaltene Kirche“, wo die „Deutschen Christen“ und die Anhänger der „BK“ einander schroff gegenüberstanden. Diese Kämpfe innerhalb der Kirche, bei denen die „Deutschen Christen“ vielerlei Unterstützungen durch die NSDAP bekamen, hielten bis 1937/38 an. Dann beruhigte sich die Situation innerhalb der protestantischen Kirchen. Allerdings wird mit dem Beginn des Krieges 1939 die „BK“ von staatlichen Instanzen härter angefasst und durch Verhaftungen auch einiger ihrer führenden Köpfe beraubt. Die eigentliche Zeit des „Kirchenkampfes“ – das waren die Jahre von 1933 bis 1935/36.

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