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Magie des Zufalls

Fast jeder Mensch hat es wohl schon erlebt: Zufälle können zu entscheidenden Begegnungen im Leben führen, zu Glücksfällen oder zur Erfahrung von einem tieferen Lebenssinn. „Sollten zufällige Ereignisse einen Zusammenhang haben? Und das, was wir Schicksal nennen, sollte es bloß Zufall sein?“ – beschreibt Johann Wolfgang von Goethe vor mehr als 200 Jahren das Phänomen.

Man könne seinem Glück auf die Sprünge helfen, meint Christian Busch in seinem 2023 erschienenen Buch „Erfolgsfaktor Zufall“. Der aus Heidelberg stammende und in London und New York lehrende Wirtschaftswissenschaftler wirbt für Wege, um „das Unerwartete in einen Erfolg zu verwandeln“. „Serendipität“ nennt er das Prinzip, offen zu sein für glückliche Zufälle.

Serendipität ist laut Duden ein Kunstwort aus dem 18. Jahrhundert, in Anlehnung an ein altes Märchen, das in Serendip spielt – ein früherer persischer Name für Ceylon, das heutige Sri Lanka. Es bedeutet das zufällige Auffinden von etwas. Der Begriff ist im angelsächsischen Raum („serendipity“) bekannter als im Deutschen.

Der Begriff lässt sich „am besten definieren als unerwartetes Glück, das sich aus ungeplanten Ereignissen ergibt, in denen unsere Entscheidungen und unser Handeln zu positiven Ergebnissen führt“, erklärt Christian Busch: „Serendipität ist die verborgene Kraft in der Welt, und sie ist überall um uns herum zu finden.“

Bei Serendipität dächten viele an glückliche Zufälle, erklärt der britische Coach Paul Hannam. Bestes Beispiel für einen solchen sei das erste Zusammentreffen des damals 16-jährigen John Lennon mit dem 15-jährigen Paul McCartney auf einem kirchlichen Gartenfest. „Was für ein unglaublicher Glücksfall, dass diese beiden musikalischen Genies zur gleichen Zeit in Liverpool leben“, sagte Hannam in einem Ted-Talk zu den Anfängen der „Beatles“. Der Begriff Serendipität aber umfasse mehr: Er beschreibe kein Ereignis, sondern eine Geisteshaltung, die man auf alle Bereiche des Lebens anwenden könne.

„Einen Zufall in einen Glücksfall zu verwandeln, erfordert Aufmerksamkeit. Denn Glück zu haben heißt nicht, von höheren Mächten begünstigt zu sein, sondern Gelegenheiten zu erkennen“, schreibt der Wissenschaftsautor Stefan Klein („Alles Zufall: Die Kraft, die unser Leben bestimmt“). Dazu sei es oft nötig, die Perspektive zu wechseln: „Oft sind wir dermaßen auf ein bestimmtes Ziel fixiert, dass wir alles andere aus den Augen verlieren. Zufälle zu nutzen heißt, links und rechts seines Weges zu schauen.“

„Erfolgreiche Menschen nehmen gern für sich in Anspruch, alles geplant zu haben“, gibt der Wissenschaftsautor Bernhard Wessling zu bedenken. Dabei vergäßen sie, wie oft sie aus Zufall genau die richtigen Menschen zur richtigen Zeit getroffen hätten oder genau in der richtigen Marktsituation mit dem passenden Produkt herausgekommen seien. Diejenigen, die ähnlich gut, aber erfolglos gearbeitet hätten, übersähen oft, dass sie ebenso aus Zufall nicht die richtigen Menschen getroffen oder zu früh praktisch das gleiche Produkt auf den Markt gebracht hätten, „und deshalb zufällig scheiterten“.

Serendipität, die Offenheit für den Zufall, kann man üben, wie Christian Busch erklärt: „Mit Übung wird der Erfolgsfaktor Zufall immer stärker und Teil Ihres Lebensstils. Es sei denn, Sie haben schon immer intuitiv so gehandelt!“ Es fange oft mit kleinen Verhaltensänderungen an – zum Beispiel, indem wir jede Situation „nicht als Problem, sondern als Lernchance begreifen“. Viele Menschen hätten schwierige Situationen erlebt, die sich zunächst wie eine Krise anfühlten, dann aber zum wichtigen Schritt im Leben geworden seien.

In einer sich rasch wandelnden Welt könne der Zufall zu neuen Erkenntnissen verhelfen, „auf die wir allein nie gekommen wären“, so beschreibt es der US-Unternehmensberater John Hagel. Er glaubt: „Wir haben die Möglichkeit, die Wahrscheinlichkeit von Glücksfällen deutlich zu erhöhen.“ Wenn man sich beispielsweise immer nur mit denselben Leuten umgebe, bekomme man keine neuen Eindrücke.

Das Leben passiert, während man damit beschäftigt ist, andere Pläne zu schmieden – diese Zeile aus einem John-Lennon-Song zitiert der US-amerikanische Historiker Lawrence R. Samuel in „Psychology Today“. Serendipität habe in seinem eigenen Leben eine bedeutende Rolle gespielt: „Ich mag die Idee des Glücks, weil sie mich glauben lässt, dass es einen großen Plan im Leben gibt, das heißt, dass die Dinge aus einem bestimmten Grund geschehen“, bekennt Samuel. Vielleicht seien es nur Statistiken, „aber ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Zufall magisch ist, eine mystische Kraft, die sich gelegentlich bemerkbar macht.“

Oder, wie es in einem Lied der Rolling Stones heißt: „Du kannst nicht immer bekommen, was du willst/ Aber wenn du es manchmal versuchst, findest du vielleicht einfach nur heraus, du bekommst, was du brauchst.“ („You can’t always get what you want/But if you try sometimes/ well, you just might find/You get what you need“).