Immer mehr Deutsche zieht es zum Arbeiten über die Grenzen, zum Beispiel nach Luxemburg. Besonders dramatisch ist die Situation im Pflegesektor. Die Möglichkeiten gegenzusteuern, sind gering
Es ist kurz vor 8.00 Uhr, als Somaeh Metzger an die Tür von Madame Pennig-Chaussy klopft und eintritt. “Gudde Moien. Wéi geet et?”, ruft die Pflegerin. “Gudde Moien”, schallt es zurück. Marie Josée Pennig-Chaussy ist 94 Jahre alt und lebt seit sechs Jahren im Pflegeheim “Op Lamp” im luxemburgischen Wasserbillig. Somaeh Metzger ist 50 Jahre jünger, sie beugt sich hinunter zu der Dame im Bett und sagt: “So, Madame, jetzt machen wir Sie schick!”
Eine gute halbe Stunde hat sie dafür Zeit. Sie wäscht Beine und Füße, legt Kompressionsstrümpfe an, hilft der Dame aus dem Bett, setzt sie in einen Rollstuhl und fährt mit ihr ins Bad. Nach zehn Minuten sind beide zurück im Zimmer. Madame Pennig-Chaussy legt Wert darauf, ihren Lippenstift selbst aufzutragen, die Pflegerin führt dabei ihre Hand. Sie sprechen über die frühere Theaterkarriere der älteren Dame – und parlieren mal auf Deutsch, mal auf Luxemburgisch, garniert mit ein paar Brocken Französisch.
Vor fast 20 Jahren hat sich Somaeh Metzger entschlossen, ihren Job in einem deutschen Pflegeheim zu kündigen und ins benachbarte Luxemburg zu wechseln. In einem vom Altenheim organisierten Kurs hat sie Luxemburgisch gelernt. Für die 13 Kilometer von Trier, wo sie mit ihrer Familie lebt, über die Grenze nach Wasserbillig braucht sie 20 Minuten. “Bereut habe ich den Schritt keine Minute”, sagt Metzger, die ihre Ausbildung 2003 in einem Pflegeheim im rheinland-pfälzischen Konz abschloss.
Wie ihr geht es den meisten Grenzgängern. Mehr als 52.000 Deutsche arbeiten nach Auskunft des Nationalen Instituts für Statistik in Luxemburg, 30 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren. Der weit überwiegende Teil von ihnen lebt weiter in Deutschland und pendelt. Allein im Gesundheits- und Sozialwesen sind 6.300 Deutsche gemeldet. Unter ihnen mindestens 4.000 Pflegekräfte wie Somaeh Metzger.
Mehr als 80 Prozent der 147 Mitarbeiter im Altenheim “Op Lamp” sind Deutsche. Sie kümmern sich um die 81 Bewohner. “Wir werben nicht aktiv in Deutschland um die Pflegekräfte”, sagt Leiterin Mireille Wirtz-Lenertz. In den grenznahen Regionen hat es sich inzwischen herumgesprochen, dass die Bedingungen in Luxemburg so viel besser sind als in Deutschland. Kaum Überstunden, mehr Personal und Wertschätzung und ein fast doppelt so hohes Gehalt. “Ich verdiene in Luxemburg mit einer 60-Prozentstelle mehr als in Deutschland mit einer Vollzeitstelle”, sagt Metzger.
Unlängst hat das 670.000 Einwohner kleine Großherzogtum die Tarife für Altenpfleger noch einmal erhöht. Eine Altenpflegerin kommt nach zehn Berufsjahren auf rund 65.000 Euro, Zulagen nicht eingerechnet, ein Krankenpfleger verdient sogar rund 100.000 Euro.
Trotzdem werden angesichts einer älter werdenden Bevölkerung auch im Pflegeparadies Luxemburg die Mitarbeiter knapp. Einer vom Dachverband der Pflegedienstleister Copas in Auftrag gegebenen Studie zufolge müssen in den nächsten fünf Jahren 4.000 Arbeitsplätze im gesamten Pflegesektor nachbesetzt werden, darunter neben Physiotherapeuten und Küchenhelfern auch 900 Krankenpfleger. Luxemburg selbst bildet pro Jahr aber nur gut 100 Pflegekräfte aus. Schon jetzt sind 50 Prozent aller Pflegekräfte Grenzgänger.
Altenheim-Leiterin Wirtz-Lenertz befürchtet, dass es in den kommenden Jahren schwieriger werden könnte, Pflegekräfte aus Deutschland einzustellen. “Auch dort steigen die Löhne.” Doch noch überzeugt das Luxemburger Model mit besseren Arbeitsbedingungen, niedrigeren Steuern und höheren Renten. Für die Pflegeheime und Krankenhäuser auf deutscher Seite der Grenze ist das eine Katastrophe. Das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Trier verliert jedes Jahr zwischen 25 und 30 Pflegepersonen an Luxemburg, sagt Pflegedirektor Jörg Mogendorf. “Dieser Trend nimmt aktuell wieder zu. Wir versuchen, mit außertariflichen Zulagen und verschiedene Benefits entgegenzuwirken.”
Auch von der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz heißt es, die Situation habe sich “in keinster Weise abgeschwächt, sondern im Gegenteil: weiter verschärft”. Deren Präsident Markus Mai sagt, den hohen Gehältern im Nachbarland könne man kaum etwas entgegensetzen: “Man kann nur allgemein schauen, dass sich die Zahl der Bewerber in den betroffenen Regionen erhöht. Doch insgesamt hat die Pflegekammer, wie auch staatliche Institutionen, hier wenig Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten.”
Auch wenn Pflegekräfte vereinzelt aus Luxemburg nach Deutschland zurückkehren: Somaeh Metzger schließt für sich aus, je wieder in einem deutschen Altenheim zu arbeiten. “In Deutschland war ich in einer Schicht für neun oder zehn Bewohner zuständig, habe manchmal 15 Tage am Stück gearbeitet. In Luxemburg habe ich fünf Bewohner pro Schicht.” An diesem Ungleichgewicht, glaubt Metzger, werde sich auch in Zukunft nichts ändern.
In Luxemburg, sagt sie, gehe der Arbeitgeber bei der Gestaltung der Dienstpläne auf ihre Wünsche ein. “Arbeit und Privatleben lassen sich gut zusammen planen. Das ist eine Präventivmaßnahme gegen miese Stimmung und Stress.”