Philippe Cordez hat über besondere Objekte in Kirchen geforscht. Im Interview mit Christiane Laudage erklärt der Münchner Kunsthistoriker, wie das Krokodil in die Kirche kam und was mittelalterliche Einhörner mit einem Tattoo der US-Popsängerin und Schauspielerin Lady Gaga verbindet.
In der italienischen Wallfahrtskirche Madonna delle Lacrime in Ponte Nossa wurde ein Krokodil gefunden. Hat Sie das überrascht?
Nein, hat es nicht! Ich hatte mir sogar Notizen zu diesem Krokodil gemacht, als ich vor einigen Jahren über solche Objekte arbeitete. Das Besondere jetzt ist, dass das Krokodil auf Initiative des Diözesanmuseums von Bergamo in einer Klinik einer Computertomographie unterzogen wurde. Durch den Scan wissen wir jetzt, dass die Haut des Krokodils über eine Art Skelett aus Holz, Stuck und Eisen überzogen wurde und dass der Schädel samt beider Kiefer und fast aller Zähne erhalten ist. Die Spitze des Schwanzes und zwei Vorderzähne dagegen wurden ergänzt, sicher damit die Bestie weiter beeindrucken kann. Das sind spannende Informationen zur frühen Geschichte der Taxidermie, also der Kunst, Tierkörper haltbar zu machen.
Das Krokodil war also keine Ausnahme?
Tatsächlich wurden im Spätmittelalter und vor allem in der Frühen Neuzeit etliche Krokodile in Kirchen aufgehängt. In der Kathedrale von Sevilla wurde eines schon 1349 erwähnt. Heute hängt dort ein Krokodil aus Holz, vielleicht hat es ein echtes totes Tier ersetzt, das sich nicht gut erhalten hatte.
Aus dem 16. und 17. Jahrhundert gibt es Aussagen, dass die Praxis gängig war. Für Spanien und Portugal gibt es sogar Zahlen: Ein Kollege hat dort 23 große Reptilien in Kirchen verzeichnet. Bei vielen handelt es sich nicht um Krokodile, sondern um Kaimane, die nur aus Amerika stammen können.
Welche Funktion hatte das Krokodil in der Kirche – was sollte das den Menschen vermitteln?
Die Krokodile stellen ein Thema dar, das in der Geschichte der Kirche sehr alt ist. Sie symbolisieren Drachen, über die die Kirche gesiegt hat. Bereits Papst Silvester soll im 4. Jahrhundert die Stadt Rom von einer solchen Bestie befreit haben. Solche Geschichten sind in vielen Heiligenlegenden zu finden.
Irgendwann reichten die Geschichten nicht mehr aus und man hat die toten Drachen als Trophäen ausstellen wollen. Diese Rolle haben vor allem Krokodile übernommen. Nicht alle Krokodile wurden für Drachen gehalten, aber stets ging es um die Angst vor dem Fremden, so bei den ersten Reisen nach Westafrika oder Amerika. Man brachte von dort die toten Tiere zurück und schenkte sie oft Kirchen als Zeichen, dass man mit Hilfe der Jungfrau Maria über Gefahren triumphieren konnte.
Im Moment sind Einhörner in. Was machte im Mittelalter das Einhornhorn so besonders?
Auch die Einhornhörner sind im 13. Jahrhundert durch den Wunsch entstanden, christliche Themen handfest veranschaulichen zu können. Das Tier gibt es wirklich nicht, aber seit der Antike existieren Berichte, die wohl vom Nashorn inspiriert wurden. Die Christen erzählten sich von einem mächtigen männlichen Tier, das nur von einer Jungfrau gefangen werden könne – ein Bild für Christus und Maria.
Im 13. Jahrhundert ist dann etwas ziemlich Erstaunliches passiert. Obwohl Einhörner in Indien leben sollten, hat man angefangen, die großen Zähne des Narwals, eines Kleinwals aus dem Arktischen Ozean, für die Hörner von Einhörnern zu halten. Noch auf dem berühmten Einhorn-Tattoo von Lady Gaga aus dem Jahr 2010 ist die spiralige Form des Hornes deutlich zu sehen: Sie geht auf den Narwal-Zahn zurück. Auch ihr Lied ist irgendwie eine Abwandlung des christlichen Themas für heutige junge Frauen: „We can be strong / Follow that unicorn / On the road to love“ (auf Deutsch: Wir können stark sein. Folge diesem Einhorn auf dem Weg zur Liebe – Anmerkung der Redaktion).