München. Amelie begutachtet die Sneakers ihrer Freundin Maiara: "Ich habe noch überlegt, ob ich heute meine hohen Schuhe anziehen soll." Die beiden elf und 13 Jahre jungen Mädchen stehen am Tresen einer Bar im ehemaligen Party-Gelände Münchens. Entspannt ordern sie zwei Saftschorlen, bevor der Gottesdienst losgeht. Denn an diesem Sonntagabend findet in der Nachtkantine, wie die Location heißt, kein Konzert statt, sondern "sunday" – ein modernes evangelisches Format mit viel Discolicht und wenig Kirchenmuff.
"sunday" soll ein "moderner lutherischer Gottesdienst" sein, erklärt Initiatorin und Hochschulpfarrerin Claudia Häfner. Gemeinsam mit anderen evangelischen Pfarrern hat sie das Format ins Leben gerufen, um "kreativ und lebensnah Christsein zu feiern". Denn das sei für viele in klassischen Sonntagsgottesdiensten nicht möglich. So entstand die Idee, die einerseits alle Generationen zusammenbringen soll – und andererseits insbesondere die Jüngeren ansprechen.
Kleines Kreuz auf dem Tisch
Während Amelie und Maiara über gerade angesagte Turnschuhe fachsimpeln, gesellen sich die Eltern der Mädchen zu ihnen an die Bar. Die Freunde besuchen "sunday" zum zweiten Mal. "Wir haben das als unsere Familientradition etabliert", erzählt Amelie. Hier haben die Eltern keine Probleme, ihre Teenies für einen gemeinsamen Gottesdienstbesuch zu motivieren – in einen "normalen" würden sie nämlich nicht gehen, sagen die Mädchen. Da sei das "eine coole Alternative".
An der Decke hängen Traversen voller Scheinwerfer, die Band trifft auf der Bühne letzte Vorbereitungen, die Barleute versorgen die Gäste mit Drinks. Bis auf drei Kerzen und ein kleines Kreuzchen auf dem Tisch vor der Band lässt kaum etwas erahnen, dass es sich hier nicht um einen gewöhnlichen Kneipenabend mit Live-Musik handelt. Erst wer genauer hinsieht, entdeckt die an manchen Tischen gefalteten Hände im "Publikum".
Nach kurzer Diskussion um die Sitzplätze – Amelie und Maiara wollen zusammen auf den Lederbänken ganz hinten sitzen, ihre Eltern erlauben es schließlich – geht der Gottesdienst los. Die Mädels sind heute die jüngsten Besucher. Die meisten der etwa 20 Anwesenden, die allein oder zu zweit an den dunklen Holztischen Platz genommen haben, vor sich Radler, Johannisbeerschorle oder Gin Tonic, sind zwischen 20 und 40.