BONN – Von verschiedener Seite wird eine bundesweite Einführung von islamischem Religions-unterricht gefordert. So sagt etwa der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, dass so der Staat mehr Kontrolle über die Erziehung muslimischer Jugendlicher gewinnen könne. Ähnlich äußerten sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und der Zentralrat der Juden.
Bis jetzt präsentiert sich die bundesrepublikanische Landschaft als Flickenteppich. Nach den jüngsten Anschlägen, die junge Menschen im Namen des Islam begingen, haben jedoch die Forderungen nach einer bundesweiten Einführung des islamischen Religionsunterrichts an Dringlichkeit gewonnen. Bernd Ridwan Bauknecht, Lehrer für islamische Religion in Bonn, sieht die Schule als ersten Ort, um Heranwachsende gegen radikales Gedankengut immun zu machen, das vornehmlich via Internet verbreitet werde. „Dem stellen wir uns entgegen – tagtäglich." Leider werde das immer noch zu selten wahrgenommen.
Nordrhein-Westfalen machte den Anfang
Zuletzt immer präsenter wurde auch die Frage nach der Rolle der Ditib (siehe auch UK 33/2016, Seite 4). Mit Blick auf das belastete Verhältnis zur Türkei sorgten sich Politiker, dass Organisationen wie die Ditib (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion) zu viel Einfluss auf deutsche Schulen erhielten. Die 15 Ditib-Landesverbände weisen die Vorwürfe einer Fremdsteuerung zurück: Die Berichterstattung über die Türkei nach dem Putschversuch werde instrumentalisiert und in „unzulässiger Weise auf die Ditib-Gemeinden projiziert“.
In sechs Bundesländern gibt es mittlerweile einen islamischen Religionsunterricht. Das Spektrum ist groß: In Nordrhein-Westfalen, das 2012/2013 den Anfang machte, wird an Lehrplänen für die Oberstufe gearbeitet. Im Saarland startete 2015/2016 ein Modellversuch an vier Grundschulen mit 60 Schülern. Irgendwo dazwischen liegen Baden-Württemberg, Niedersachsen, Hessen und Rheinland-Pfalz. In Bayern gibt es seit 2009/2010 islamischen Unterricht, der dem Religionsunterricht in den anderen genannten Ländern nahekommt. Daran nehmen derzeit rund 12 000 Schüler teil.
Wie hoch ist aber der tatsächliche Bedarf? Absolute Zahlen zu muslimischen Schülern in der Bundesrepublik sind schwer zu ermitteln – auch vor dem Hintergrund der vielen Flüchtlinge aus islamischen Ländern, die nach Deutschland kamen. Das Statistische Bundesamt hat dazu jedenfalls keine Daten.
Es bleiben Einzelbeispiele und Schätzungen. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen etwa sollen 260 000 muslimische Schüler leben; am islamischen Religionsunterricht nahmen 2015/2016 gerade einmal 13 700 von ihnen teil. Bayern erreicht dem dortigen Kultusministerium zufolge jeden fünften Schüler an den staatlichen Grund- und Mittelschulen. Von Realschulen und Gymnasien beteiligen sich bislang nur vier beziehungsweise zwei Schulen an dem Projekt.
Kritiker mögen vor dem Hintergrund mancher Sonntagsreden zu Integration und Prävention einwenden, dass das alles viel zu wenig ist. Aber dabei ist in Rechnung zu stellen, dass die Länder für die Einführung eines solchen Angebots einen Ansprechpartner aufseiten der Muslime brauchen, der die grundgesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen einer Religionsgemeinschaft erfüllt.
Da wird es knifflig. Nordrhein-Westfalen gehört zu den Ländern, die sich mit einer Übergangslösung beholfen haben: einem Beirat, der darüber befinden soll, was im Unterricht gelehrt wird und welche Lehrer unterrichten. In dem Beirat sitzen, wie in Baden-Württemberg, Ditib-Vertreter.
In Thüringen ist „kein Bedarf angemeldet“
Vom bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht zu unterscheiden sind Angebote wie Islamkunde oder Ethikunterricht. Davon abgesehen ist in Berlin, Brandenburg und Bremen Religionsunterricht kein ordentliches Lehrfach und untersteht nicht der staatlichen Schulaufsicht. In Hamburg gibt es einen „Religionsunterricht für alle“. Aus dem Thüringer Bildungsministerium heißt es, ein Bedarf für islamischen Religionsunterricht sei „bisher nicht angemeldet worden“.
Die Regierung in Rheinland-Pfalz hatte Anfang August erklärt, das Gespräch mit Islamverbänden über den Religionsunterricht ruhen zu lassen. Ministerpräsidentin Malu Dreyer sagte, dass Konflikte in der Türkei nicht hierzulande ausgetragen werden dürften. Aus der Hamburger Senatskanzlei heißt es dagegen, man halte die Beendigung einer Zusammenarbeit für „nicht zielführend“. Auch im Saarland haben laut Bildungsministerium bisher weder die Ditib noch andere Verbände „eine Veranlassung gegeben, die Zusammenarbeit zu überprüfen". Eine ähnliche Einschätzung kam aus Hessen.
Das Stuttgarter Kultusministerium beobachtet nach eigenen Angaben Äußerungen von Ditib und anderen Organisationen von Muslimen. Eine „direkte inhaltliche Auswirkung“ aktueller Positionierungen der Ditib auf den islamischen Religionsunterricht erwartet es nicht – die Lehrkräfte seien an deutschen Hochschulen ausgebildet worden und stünden in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis mit dem Land. Der islamische Religionsunterricht in Niedersachsen basiert auf staatlichen Lehrplänen und wird von Lehrkräften im Dienst des Landes erteilt, wie das Kultusministerium betont.