Artikel teilen:

„Legt die Lüge ab“

Streit um Positionen ist in der Demokratie notwendig. Aber bitte sachlich! Wer anderen das Wort im Munde umdreht und sie an den Pranger stellt, gefährdet das Zusammenleben

Natürlich wird in einem Wahljahr politisch besonders heftig gestritten. Leider setzt sich der aktuelle Trend fort, dass nicht nur argumentiert wird, sondern beschimpft, verdreht und verleumdet. Davon blieb jetzt auch der Kirchentag nicht verschont. Insbesondere Margot Käßmann sah sich nach einer Bibelarbeit über die biblische Erzählung von Maria und Elisabeth einer Kritik ausgesetzt, die geradezu bösartig war.
Verfolgt man die Ereignisse, liest sich das wie eine Anleitung zur Verleumdung. Man nehme ein Zitat, verkürze es, reiße es bewusst aus dem Zusammenhang und stelle die verhasste Person an den Pranger. Wer so etwas tut, hat sein Recht verwirkt, sich auf die sogenannten Werte des christlichen Abendlandes zu berufen.

Was war geschehen? Margot Käßmann, die Botschafterin für das Reformationsjubiläum, hatte in ihrer Auslegung die Familienpolitik der Alternative für Deutschland (AfD) kritisiert. Ihr Kommentar dazu: Frauen sollen laut AfD-Programm Kinder bekommen, „aber nur, wenn sie, wie es jetzt immer heißt: bio-deutsch sind. Das ist eine neue rechte Definition von ‚einheimisch‘ gemäß dem so genannten kleinen Arierparagraphen der Nationalsozialisten. Bio-deutsch soll nämlich bedeuten: zwei deutsche Eltern, vier deutsche Großeltern. Da weiß man, woher der braune Wind dann wirklich weht.“

Menschen, die sich davon getroffen fühlten, veröffentlichten daraufhin eine verkürzte und bewusst verfälschte Version des Zitats. Es lautete: „Margot Käßmann: Zwei deutsche Eltern, vier deutsche Großeltern – da weiß man, woher der braune Wind wirklich weht.“ Der Theologin wurde damit unterstellt, sie erkläre jeden mit deutscher Herkunft zum Nazi. Boshafter geht es nicht. Aber die Botschaft war nicht mehr aufzuhalten.

Tausendfach verbreitete sich die angeblich deutsch-feindliche Aussage Käßmanns. Menschen kündigten ihren Kirchenaustritt an und, noch viel schlimmer, verunglimpften die ehemalige Bischöfin – einschließlich schlimmster Gewaltphantasien. Nicht nur Anhänger der AfD beteiligten sich an dieser Hetzjagd, sondern auch bekannte Journalisten wie Henryk M. Broder oder Roland Tichy. Bei allem Verständnis für unterschiedliche Positionen in einem aufgeheizten gesellschaftlichen Klima: So etwas kann und darf nicht sein. Und gerade wer sich auf christliche Werte beruft, sollte noch einmal im Neuen Testament nachlesen, wie Zusammenleben gelingt: „Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit. Lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen. Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit.“

Wer sich an diese Anweisungen aus dem Epheserbrief hält, mag gern streiten. Wer aber bewusst andere Menschen für seine politischen Ziele – egal welcher Couleur – diskreditiert, der ist nicht ernst zu nehmen. Und gefährlich für unsere Demokratie.