Die fünfjährige Freja ist Profi-Bauerin. Geübt steckt sie die Schienen der Holzeisenbahn zusammen, eine nach der anderen. Zwischendurch stärkt sie sich mit einem Keks, dann wendet sie sich wieder ihrem Bauprojekt zu. Freja ist ein aufgewecktes Mädchen mit langen, blonden Haaren. Lediglich die lilafarbenen Geräte in ihren Ohren verraten, dass sie schwerhörig ist.
Am 24. November 2019 kam Freja ohne Komplikationen im Lübecker Marienkrankenhaus zur Welt. Das routinemäßige Hörscreening in ihren ersten Lebenstagen klappte aber nicht. „Die Sonden fielen Freja immer wieder aus den Ohren. Wie wir jetzt wissen, hat sie ganz enge Gehörgänge“, erklärt Frejas Mutter Jacqueline Wolski. Die frisch gebackenen Eltern wurden mit ihrem Säugling zum Hals-Nasen-Ohrenarzt geschickt. Der hatte die niederschmetternde Diagnose, dass Freja auf beiden Ohren taub sei. „Das war schrecklich. Wir wussten einfach nicht, wie es weitergeht“, erinnert sich Wolski.
Im Universitätsklinikum Lübeck folgten im Januar 2020 umfangreichere Tests. Schnell wurde klar: Freja ist nicht taub, sondern leidet an einer Schallleitungsschwerhörigkeit. Ihr Innenohr ist gesund, die Geräusche gelangen durch den engen Gehörgang aber schwer hinein.
Frejas Hörakustikern Claudia Brömel erklärt es so: „Wenn man sich die Ohren zuhält, hört man Gespräche und Geräusche so wie Freja sie ohne Hörgeräte hört: dumpf und leise.“ In ihrem Hörakustik-Geschäft in Lübeck berät Brömel Eltern und Kinder aus ganz Schleswig-Holstein. Freja bekam dort bereits im Alter von zwei Monaten ihre ersten Hörgeräte.
Statistisch gesehen kommen drei von 1.000 Babys mit einem oftmals genetisch bedingten Hörschaden auf die Welt. Für den Spracherwerb ist es wichtig, dass sie so früh wie möglich Hörgeräte tragen. „Bekommen sie die Geräte erst im Kleinkindalter, wird es für sie sehr schwer, die sprachliche Entwicklung aufzuholen“, sagt Brömel, die ihre Ausbildung vor 25 Jahren an der Akademie für Hörakustik in Lübeck mit einer Weiterbildung zur Pädakustikerin ergänzte.
Damit ist sie spezialisiert auf Hörgeräte für Kinder. Die Akademie und die deutschlandweit zentrale Berufsschule für Hörakustikerinnen und Hörakustiker sind am Campus Hörakustik. 1.000 Auszubildende machen jährlich dort ihren Abschluss. Für die Weiterbildung zum Pädakustiker sind die Meisterprüfung oder drei Jahre Berufserfahrung Voraussetzung.
Kinder könnten nicht wie kleine Erwachsene behandelt werden, sagt Brömel. Hörtests müssten spielerisch erfolgen, das müsse man lernen. Die Ohren von Babys wüchsen schnell, da sei teilweise alle sechs Wochen ein neues Ohrstück fällig. Das sei herausfordernd. Gleichzeitig erfahre sie in ihrem Job viel Dankbarkeit. „Es ist so ein schöner Moment, wenn Babys nach dem Einsetzen der Geräte plötzlich auf die Sprache ihrer Mutter reagieren.“
Die Kosten zwischen 1.000 und 1.300 Euro pro Hörgerät übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen. Trotzdem täten sich manche Eltern mit der Anschaffung schwer, sagt Brömel. Für sie seien Hörgeräte ein Makel. „Diese Eltern wollen nicht, dass die Geräte auffallen und wählen eine unauffällige Farbe. Das ist nicht förderlich für das Selbstbewusstsein des Kindes.“
Jacqueline Wolski bestätigt, dass Kinder-Schwerhörigkeit noch ein Tabuthema ist. „Über Kinder mit Brille denkt niemand nach“, sagt sie. Bei Kindern mit Hörgerät dächten viele fälschlicherweise, dass sie auch geistig behindert seien. „Freja wird oft komisch angeguckt. Wir vermitteln ihr aber: Wer eine Brille trägt, kann schlecht sehen. Und du kannst eben nicht so gut hören.“
Inzwischen hat Freja die Eisenbahn im Laden von Claudia Brömel einige Male fahren lassen und sich auf den Schoß ihrer Mutter gesetzt. Die Hörgeräte gehören für sie zum Leben dazu. Die Farbe hat sie sich selbst ausgesucht. „Ganz selbstverständlich setzt sie sie morgens ein und legt sie abends auf die Ladestation“, erklärt Wolski, während sie ihrer Tochter Papier und Stifte gibt. In deutlichen Buchstaben schreibt Freja ihren Namen auf. Ab Sommer 2026 wird sie eine ganz normale Grundschule besuchen.