Die Bundesregierung will die Herzgesundheit in Deutschland verbessern. Doch Ärzte und Kassen warnen, dass Minister Lauterbach zu stark auf Medikamente setzt. Zentral seien mehr Bewegung und gesunde Ernährung.
Der Bundestag debattiert am Mittwoch in Erster Lesung über den von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgelegten Entwurf für ein Gesundes-Herz-Gesetz. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) nennt wichtige Fakten und Hintergründe.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkte und Schlaganfälle sind in Deutschland die häufigste Todesursache. Auch bei Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Rauchen, Adipositas oder Diabetes mellitus belegt die Bundesrepublik vordere Plätze. 2023 starben 348.300 Bundesbürger an Herz-Kreislauf-Erkrankungen; das waren 33,9 Prozent der Verstorbenen. Im Vergleich zu anderen westlichen Industrienationen hat Deutschland damit eine der höchsten Sterblichkeitsraten in diesem Bereich. Mit rund 57 Milliarden Euro verursachten Krankheiten des Kreislaufsystems 2020 die höchsten Kosten für das Gesundheitssystem. Medizinische Fachverbände sprechen von einer “alarmierenden Situation der Herzgesundheit in Deutschland”.
Ziel des Gesetzentwurfs ist es, durch ein Bündel an Maßnahmen die Früherkennung und die Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verbessern. Dazu gehören etwa eine Stärkung der Bewegungsförderung, die Förderung einer gesunden und nachhaltigen Ernährung, bessere Früherkennung durch Check-up-Untersuchungen sowie erleichterte Medikamentenvergabe.
Das Gesetz sieht vor, bei Kindern die übliche U9-Untersuchung im Alter von etwa fünf Jahren um den Anspruch zu erweitern, Tests auf Fettstoffwechsel-Erkrankungen mit zu viel Cholesterin im Blut zu machen. Betroffenen Kindern könnten dann frühzeitig Blutfett senkende Medikamente, sogenannte Statine, verschrieben und Angehörige gezielt auf solche Risikofaktoren untersucht werden. 12- bis 14-Jährige sollen die Krankenkassen dann verpflichtend zur bisher oft vergessenen Jugendgesundheitsuntersuchung (J1) einladen. Im Fokus stehen sollen dabei etwa Informationen zu Risikoverhalten wie dem Rauchen. Früh zu identifizieren sein sollen dann auch beginnendes starkes Übergewicht, Bewegungsmangel oder Haltungsstörungen.
Bei Erwachsenen sollen schon angebotene Gesundheitsuntersuchungen um Check-ups für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erweitert werden, und zwar im Alter von 25, 40 und 50 Jahren. Dabei soll auch das Cholesterin analysiert und bei erhöhten Werten eine Behandlung mit Statinen auf Kassenkosten geregelt werden. Der Anspruch auf Medikamente, die zur Entwöhnung von Tabak helfen, soll nicht mehr auf “schwere” Abhängigkeit beschränkt und öfter als alle drei Jahre nutzbar sein. Die Krankenkassen sollen darüber hinaus verpflichtet werden, ihren Versicherten strukturierte Behandlungsprogramm anzubieten.
Apotheken werden laut Gesetzentwurf auch unabhängig von den Check-up-Untersuchungen verstärkt in die Beratung zur Prävention und Früherkennung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und mit Rauchen verbundenen Erkrankungen eingebunden. Versicherte sollen Gutscheine für eine erweiterte Beratung mit Messungen zu Risikofaktoren, etwa Diabetes, in Apotheken erhalten.
Kritiker aus Union und Grünen fordern eine stärkere Konzentration auf die Ursachen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. So verlangen die Grünen mehr Kinderschutz in der Werbung. Die Union spricht sich in einem eigenen Antrag für eine Kampagne zu Gunsten von mehr Sport und einer ausgewogenen Ernährung aus. Nicht geboten sei die Einführung von unbegründeten bevölkerungsweiten Screening-Programmen. Es dürfe keinen Trend hin zu einer stärkeren Medikalisierung geben. Ferner sollte sich die Bundesregierung mit den Ländern dafür einsetzen, Schulgesundheitsfachkräfte zu etablieren und verpflichtende Einheiten zur Gesundheitsbildung in Schulen einzuführen, die gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung in den Lehrplan integrieren.
Die Nationale Herzallianz begrüßt das Gesetzesvorhaben. Sie betont, dass in Deutschland bei der Gabe von Statinen Unterversorgung im internationalen Vergleich herrsche. Allerdings dürfe die stärkere Verordnung von Medikamenten nicht dazu führen, dass die Vorbeugung durch Verhaltensänderung zurückgefahren werde.
Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) von Ärzten und Krankenkassen, Josef Hecken, spricht dagegen von Aktionismus: Mehr Medikamente und Check-ups schon für Kinder seien keine Strategie, die Zivilisationserkrankung in den Griff zu bekommen, sagte er. Statt sich dafür einzusetzen, dass sich Kinder gesund und ausgewogen ernähren, sollten Arzneimittel verordnet werden. Es müsse aber die absolute Ausnahme bleiben, Kinder dauerhaft mit Medikamenten zu behandeln.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Bundesärztekammer kritisieren einen Eingriff der Politik in die Kompetenzen der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Die Politik dürfe nur einen rechtlichen Rahmen vorgeben. Es sei aber Aufgabe des Gemeinsamen Bundesausschusses, auf der Grundlage von Studien über geeignete Therapien, Untersuchungsmethoden und Medikamente für die Bevölkerung zu entscheiden.
Auch die geplanten Beratungsangebote in den Apotheken werden von Ärztevertretern als Grenzüberschreitung gewertet. Medizinische Beratung und Heilkunde sei den Ärzten vorbehalten. Bei Präventionsgutscheinen und Beratungsgesprächen in Apotheken handele es sich lediglich um teure Parallelangebote, die den Arztbesuch und die ärztliche Präventionsberatung niemals ersetzen könnten. Die Krankenkassenverbände unterstreichen, dass 2023 rund 1,5 Millionen Menschen an Präventionskursen teilgenommen hätten, die sie von den Krankenkassen erstattet bekommen hätten. Damit seien die zur Verfügung stehenden Mittel ausgeschöpft. Dieser Bereich müsse gestärkt werden, statt auf Medikamente zu setzen.