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Lauterbach will Aufholjagd bei Medizinforschung starten

Bundesgesundheitsminister Lauterbach will Pharma-Investitionen in Milliardenhöhe nach Deutschland zurückholen und die deutsche Pharmaforschung an die Weltspitze zurückbringen. Er fordert eine Aufholjagd.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt Deutschland als “Apotheke der Welt”, also als einer der wichtigsten Produzenten und Lieferanten von Medikamenten. Unternehmen wie Bayer, Schering oder Merck waren Motor für Innovation, Forschung und Wertschöpfung. Aspirin, Veronal oder Salvasan traten ihren Siegeszug an – auch das Heroin, das zunächst als Hustensaft angepriesen wurde. Mit Emil von Behring (1901), Robert Koch (1905), Paul Ehrlich (1908) und Albrecht Kossel (1910) erhielten gleich vier Deutsche für ihre Erfindungen den Medizin-Nobelpreis innerhalb des ersten Jahrzehnts.

Goldene Zeiten – an die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) anknüpfen möchte. Deutschland sei im internationalen Vergleich in der medizinischen Forschung stark zurückgefallen, argumentiert der Minister. “Wir haben eine sehr gute Grundlagenforschung, aus der aber zu wenige Patente und noch weniger Produktion hervorgehen”, erklärte er im Herbst bei der Vorstellung der Pharmastrategie der Bundesregierung. Auch die Zahl klinischer Studien hierzulande stagniere. Als Folge habe der Standort Deutschland in den vergangenen 20 Jahren im internationalen Vergleich deutlich an Attraktivität verloren. Großbritannien beispielsweise sei bei der Grundlagenforschung auf Augenhöhe mit Deutschland, melde allerdings bedeutend mehr Patente an.

Lauterbach bläst zur “Aufholjagd”. Die pharmazeutische Industrie sieht er als einen Schlüsselsektor der deutschen Volkswirtschaft. Es müsse also auch Produktion zurück nach Europa geholt werden. Die Pharmastrategie der Bundesregierung soll dazu mit ganz verschiedenen Projekten beitragen – die neben dem Gesundheitssektor auch die Ministerien von Wirtschaft über Forschung bis Finanzen betreffen.

Lauterbach selbst hat bereits das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) und das Digitalgesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung im Gesundheitswesen auf den Weg gebracht: Sie sollen den Datenzugang für Forschung und Entwicklung verbessern. Auch die elektronische Patientenakte soll – wenn die Versicherten nicht widersprechen – pseudonymisierte Daten zusammenführen und der Forschung zugänglich machen.

Ein zentraler Punkt ist auch das Medizinforschungsgesetz, das das Bundeskabinett am Mittwoch billigte. Es orientiere sich stark am israelischen Modell, so Lauterbach. Dort wo geforscht werde, finde später oft auch die Produktion statt. Er geht durch das Gesetz “von einer zusätzlichen Wertschöpfung von acht Milliarden Euro pro Jahr” aus.

Konkret sind Bürokratieabbau und schnellere Genehmigungsverfahren geplant: Das Gesetz soll klinische Studien vereinfachen, beschleunigen und entbürokratisieren. Lauterbach zufolge sollen die Verfahren künftig in Musterverträgen vereinfacht und gebündelt werden. Damit könnten die oft überlangen Vertragsverhandlungen zwischen Unternehmen und Kliniken oder Praxen über klinische Studien abgekürzt werden.

Unbürokratische Entscheidungswege soll es auch dadurch geben, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) näher zusammenrücken, wobei das BfArM die Steuerungsfunktion hat. Die Pharmaindustrie hatte die Antragsverfahren bei verschiedenen Behörden als zeitintensiv und kostenaufwändig kritisiert.

Auch das Ethikvotum soll künftig schneller erfolgen. Trotz der Kritik des Arbeitskreises Medizinischer Ethikkommissionen in der Bundesrepublik (AKEK) und der Ärztekammern plant Lauterbach die Errichtung einer Bundes-Ethik-Kommission mit einer Geschäftsstelle beim BfArM. Sie soll zunächst für dringliche und anspruchsvolle Verfahren wie Plattformstudien oder die erstmalige Erprobung von Arzneimitteln am Menschen zuständig sein. Vorgesehen ist auch, Start-up-Unternehmen mit steuerlichen Anreizen für Ansiedlungen zu gewinnen.