Eigentlich will die Politik verhindern, dass die Sozialabgaben über 40 Prozent des Lohns steigen. Doch bei den Ausgaben für Gesundheit und Pflege zeigt die Kurve weiter nach oben.
Wachsende Ausgaben in der Pflegeversicherung durch mehr Pflegebedürftige und steigende Personalkosten. Milliardenlöcher in der Krankenversicherung durch die Krankenhausreform, höhere Löhne und Inflation: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat am Freitag zum wiederholten Mal steigende Beiträge für die Versicherten in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung angekündigt.
Grund dafür sei, dass in der Vergangenheit wichtige Reformen ausgeblieben seien, sagte er dem Magazin “Stern”. “Wenn wir die Krankenhäuser jetzt nicht finanziell unterstützen, werden viele das rettende Ufer der Krankenhausreform nicht erreichen. Das müssen wir verhindern.”
Der allgemeine Beitragssatz zur Krankenversicherung liegt derzeit bei 14,6 Prozent der Einkünfte, je zur Hälfte getragen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Hinzu kommt der von der jeweiligen Kasse abhängige Zusatzbeitrag. Er liegt im Schnitt dieses Jahr bei 1,7 Prozent. In der Pflegeversicherung müssen Versicherte und Arbeitgeber derzeit 3,4 Prozent des Bruttoeinkommens zahlen, Kinderlose 4 Prozent.
Für die Krankenkassen sind die wiederholten Ankündigungen des SPD-Politikers ein alarmierendes Signal. “Damit entwickelt sich Karl Lauterbach zum teuersten Bundesgesundheitsminister aller Zeiten”, sagte die AOK-Vorstandsvorsitzende Carola Reimann: “Schon zur Jahreshälfte überspringt das GKV-Defizit die Zwei-Milliarden-Euro-Marke.” Bereits ohne die drohenden Mehrausgaben durch die aktuellen Gesetzesvorhaben belaufe sich der zusätzliche Finanzbedarf 2025 auf bis zu 0,6 Beitragssatzpunkte in der Krankenversicherung und 0,25 Prozentpunkte in der Pflegeversicherung. Für das kommende Jahr rechnen die Krankenkassen mit einem Defizit zwischen 3,5 Milliarden und 7 Milliarden Euro. Für die Pflege wird ein zusätzliches Defizit von rund 2,5 Milliarden Euro erwartet.
Eine Kostenlawine. Der Düsseldorfer Ökonom Jürgen Wasem rechnet bis 2040 mit einem Anstieg der Sätze allein in der Pflegeversicherung um deutlich mehr als ein Viertel – auf mehr als fünf Prozent, sagte er zu Beginn des Jahres. Grund sei eine Verdoppelung der Pflegekosten auf mehr als 100 Milliarden Euro im Jahr. Der Münchner Gesundheitsökonom Günter Neubauer rechnet bis 2040 sogar mit einem Anstieg des Beitragssatzes auf bis zu 6,25 Prozent.
Vor wenigen Tagen hatten die Krankenkassen Lauterbach aufgefordert, mit einem gesetzlichen Notpaket den drohenden Beitragssprung in der Krankenversicherung zu verhindern. Es brauche einen Plan, wie die Beitragsspirale beendet werden könne und keine “nonchalanten Ankündigungen”, dass es einfach so weitergehe, sagte die Chefin des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Kassen, Doris Pfeiffer.
Konkret forderte sie die Ampelkoalition auf, auf den Plan zu verzichten, die Krankenhausreform aus Beitragsmitteln in Höhe von 25 Milliarden Euro zu finanzieren. “Es ist absolut inakzeptabel, den Beitragszahlenden der gesetzlichen Krankenversicherung eine 25-Milliarden-Euro-Rechnung zu schicken, damit sie für den Staat und die Privatversicherten den Löwenanteil des Krankenhausumbaus finanzieren”, kritisierte sie. Lauterbach plant einen Transformationsfonds von insgesamt 50 Milliarden Euro für die nächsten zehn Jahre. Die Länder sollen 25 Milliarden beitragen; der Bund will seinen Anteil von 25 Milliarden den Krankenkassen aufbürden.
Dass das Gesundheitswesen in der alternden Gesellschaft teuerer wird, lässt sich kaum verhindern – außer, es gibt bedeutende Effizienzverbesserungen durch den Abbau von Über-, Unter-, und Fehlversorgung. Die Frage ist aber: Werden die Kosten über die Beiträge der Versicherten oder Steuern finanziert? Die Kassen pochen zuallererst darauf, dass sie und die Beitragszahler nicht immer stärker mit versicherungsfremden Aufgaben belastet würden – wie bei der Krankenhausreform. Darüber hinaus fordern sie, dass der Staat endlich auskömmliche Pauschalen für Bürgergeld-Beziehende zahle. Auch müsse der Mehrwertsteuersatz für Arzneimittel auf 7 Prozent gesenkt werden.
Wird das nicht umgesetzt, könnte der Anteil der Soziallasten nach Einschätzung der Sozialversicherungsträger und der Regierung im Wahljahr 2025 auf 42,5 Prozent des Bruttolohns steigen. Bis 2028 sei sogar mit einer Steigerung auf 44 Prozent zu rechnen. Immer wieder bezeichnet die Politik eine Sozialabgabe-Quote von 40 Prozent als Rote Linie.