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Landeskirchen wollen sexuellen Missbrauch stärker bekämpfen

Die leitenden Geistlichen der evangelischen Kirchen in Rheinland-Pfalz und Hessen haben sich am Donnerstag erschüttert geäußert über die Ergebnisse der ForuM-Missbrauchsstudie. Die am Donnerstag in Hannover vorgestellte Studie geht von mindestens 2.225 betroffenen Kindern und Jugendlichen und 1.259 mutmaßlichen Tätern in der gesamten Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Diakonie aus. In einer Hochrechnung, die mit „sehr großer Vorsicht“ betrachtet werden müsse, ergebe sich eine Zahl von 9.355 Betroffenen bei geschätzt 3.497 Beschuldigten.

Die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst rief dazu auf, den Kampf gegen sexuellen Missbrauch auf allen Ebenen zu führen. „Die Gewalt, die Menschen in der evangelischen Kirche widerfahren ist, das Wegsehen, das immer wieder stattgefunden hat, das Versagen unserer Kirche und Diakonie in vielen Fällen macht mich fassungslos und erfüllt mich mit tiefer Scham“, sagte Wüst. Die Pfälzer Kirche wolle ihre Schutzmaßnahmen weiter verbessern und das erlittene Unrecht der Betroffenen angemessen anerkennen, sagte Wüst, die auch Sprecherin der kirchlichen Beauftragten im Beteiligungsforum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist.

Die Evangelische Kirche der Pfalz hat seit dem Jahr 1947 in ihrem Bereich insgesamt 22 Fälle von sexuellem Missbrauch gezählt.19 davon seien strafrechtlich relevant gewesen, sechs Täterinnen und Täter seien verurteilt worden. Insgesamt habe es 49 Verdachtsfälle gegeben. Darin sei die ganze Bandbreite von übergriffigem und distanzlosem Verhalten bis zur Straftat enthalten. Für die ForuM-Studie habe die Landeskirche nur 27 Verdachtsfälle vor allem aus Disziplinarakten gemeldet, darunter Fälle, die sich nicht bestätigt hätten, heißt es. Seit 2019 seien in der Landeskirche in neun Fällen Anerkennungsleistungen zwischen 5.000 und 25.000 Euro an Betroffene von Missbrauch gezahlt worden.

„Wir werden alles dransetzen, Verdachtsfällen nachzugehen und Fälle aufzuarbeiten“, bekräftigte der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung. Sollten durch die Studie sich weitere Betroffene ermutigt fühlen, sich bei der Kirche zu melden, begrüße er das sehr. Die Studie gebe wichtige Hinweise, um Risiken in den kirchlichen Strukturen, die Missbrauch begünstigen, zu erkennen und vorzubeugen, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd).

In der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) sind nach eigenen Angaben für den erfragten Zeitraum zwischen 1945 und 2020 insgesamt 45 Verdachts- und bestätigte Fälle für die Studie gemeldet worden. Dabei gehe es ausschließlich um Fälle, bei denen eine erwachsene Person sexualisierte Gewalt an Minderjährigen ausgeübt hat. Die Beschuldigten und Täter seien „überwiegend Pfarrpersonen“, alle seien haupt- oder ehrenamtlich bei der EKHN beschäftigt.

Die ForuM-Studie beschreibe und analysiere „das jahrzehntelange institutionelle Versagen“, sagte die kurhessische Bischöfin Beate Hofmann. Es sei „bedrückend und beschämend, die Ausmaße dieses Versagens zu erkennen“. Zugleich bezeichnete sie es als gut und wichtig, dass dieses Versagen klar zum Ausdruck komme und untersucht werde. „Wir müssen unser Selbstbild kritisch überprüfen, unsere Abwehrmuster überwinden und strukturelle Konsequenzen ziehen“, sagte sie.

Die Evangelische Kirche in Kurhessen-Waldeck (EKKW) hat für den Zeitraum zwischen 1946 und 2020 nach eigenen Angaben 76 Betroffene und 34 Täter und Beschuldigte für die Studie gemeldet, darunter überwiegend Pfarrer. Dafür seien Disziplinarakten sowie alle Personalakten von aktiven Pfarrerinnen und Pfarrern untersucht und die Fallzahlen übermittelt worden. Die tatsächliche Zahl der Betroffenen sei wahrscheinlich höher als bisher bekannt.

„Das Leid der Betroffenen, die Zahl der Fälle und das institutionelle Versagen, das die Studie darlegt, sind erschütternd“, sagte der rheinische Präses Thorsten Latzel. „Wir müssen vor allem den Betroffenen gut zuhören, um das erlittene Unrecht in seiner ganzen Dimension begreifen zu können.“

In der Evangelischen Kirche im Rheinland sind nach eigenen Angaben seit 1946 insgesamt 70 Verdachtsfälle sexualisierter Gewalt aus Akten bekannt. Darunter befinden sich sowohl Pfarrpersonen als auch landeskirchliche Beschäftigte mit anderen Berufen. Bei der 2021 eingerichteten Meldestelle gingen den Angaben zufolge bis Dezember 2023 insgesamt 76 Verdachtsmeldungen ein. Finanzielle Leistungen in Anerkennung des erlittenen Leids wurden laut rheinischer Kirche bisher in 29 Fällen bewilligt, das entspreche einer Summe von 415.000 Euro.