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Kreuz und queer

Schon das dritte Mal engagiert sich Kirche in Berlin bei der Parade zum Christopher Street Day. Am 27. Juli geht sie gemeinsam mit Lesben, Schwulen, Trans* und Bisexuellen und Queers für die Vielfalt von Lebensentwürfen auf die Straße. Das Motto: Liebe tut der Seele gut. Aber sind Kirche und queere Menschen ein Traumpaar?

Von Sebastian Wolfrum

In 16 evangelischen Landeskirchen finden öffentliche Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare statt. In den meisten sind sie der klassischen Trauung gleichgestellt. In vier Landeskirchen gibt es transidente Pfarrer*innen, die sichtbar sind.

Alles gut? Ist nun das Paradies Wirklichkeit für queere Menschen in der evangelischen Kirche? Nun, wir sind zumindest nicht mehr im ersten Kreis der Hölle verortet. Viele ­Gemeinden und Landeskirchen sind offen, voller Akzeptanz. Im Alltag ­liegen aber immer noch genug Steine im Weg. Ungeachtet der breite ­Akzeptanz fehlt es an deutlichen Absagen an die Lehre, Homosexualität sei Sünde. Noch immer werden Männer und Frauen von Christinnen und Christen beschimpft und verdammt. Ich wünsche mir einen deutlichen Widerspruch von Kirchenleitung und Pfarrer*innen vor Ort, dass das in­akzeptabel ist. In vielen Landeskirchen beschäftigen sich die Jugendkonvente mit sexueller und persönlicher Vielfalt. Hier sehe ich einen positiven Aufbruch, der zunehmend auch trans- und intersexuelle Menschen in den Blick nimmt. Wenn wir jetzt noch in der Seelsorge Ansprechpersonen benennen, die sich damit auskennen, wird die Begleitung noch besser und geschieht nah an den Menschen mit ihren Lebensthemen.

All die positiven Aufbrüche sind gut. Und sie stehen neben dem Leid, das viele gläubige Menschen erfahren mussten, durch und in der ­Kirche. Die vergangene Ablehnung Homosexueller ist noch sehr präsent. Nicht wenige haben sich deswegen von der Kirche und dem Glauben abgewandt. Hier braucht es deutliche und authentische Worte der Entschuldigung. Und die Geschichte transsexueller Menschen mit der Kirche als Arbeitgeberin ist nicht frei von Schuld. Auch hier sind Entschuldigungen für erfahrenes Unrecht notwendig. Um glaubwürdig zu sein in der Gegenwart. Wenn nicht die Kirche, wer sonst ist in der Lage, eigene Schuld einzugestehen und um Vergebung zu bitten? Sie tut damit nur das, was sie selbst in die Wiege gelegt bekommen hat. In der Geschichte der Kirche zeigt sich aber auch: Sie war dann besonders stark, wenn es ihr gelungen ist, die Schwachen zu sehen und für sie Partei zu ergreifen. Inzwischen ­zeigen die Kirchen Flagge. In Berlin ist sie beim Motzstraßenfest dabei und auch auf dem Christopher-Street-Day (CSD) am 27. Juli wird sie präsent sein.

Als Jesus damals sagte, „liebe deinen Nächsten“, hat er dies universell formuliert. Bedingungslos. Ohne Ausnahme. Am Ende der Geschichte vom Barmherzigen Samariter gibt er dem fragenden Pharisäer mit auf den Weg: Geh hin und tu desgleichen! Versorge, die unter die Räuber fallen. Queere Menschen gehören leider noch viel zu oft dazu. Ja, Kirche! Geh hin und tu Gleiches.

Sebastian Wolfrum ist transident und Pfarrer in der Kirchengemeinde Veitshöchheim in ­Bayern. Er fühlte sich seit ­Kindertagen im falschen Körper. 2017 wagte er den Schritt in die Öffentlichkeit. Sein Coming Out sorgte bundesweit für Schlagzeilen. 2019 erschien sein Buch „Endlich ich. Ein transsexueller Pfarrer auf dem Weg zu sich selbst“ im ­Claudius Verlag München.