Artikel teilen:

Kongos erster Regierungschef Lumumba vor 100 Jahren geboren

Es war der Kalte Krieg im heißen Afrika. Patrice Lumumba, erster Ministerpräsident des gerade unabhängigen Staates Kongo, biss im Westen auf Granit. Er diente sich den Russen an – und unterschrieb damit sein Todesurteil.

Es war die klassische Geschichte von der volksnahen Lichtgestalt im Kampf gegen die Kolonialisten. Mahatma Gandhi gegen die Engländer, Steve Biko gegen die Buren, Che Guevara gegen die kubanische Diktatur. Alle errangen sie wichtige Etappensiege, und alle starben sie einen gewaltsamen Tod. Wie auch Patrice Lumumba, der 1961 einem Mordanschlag zum Opfer fiel – unter Billigung höchster belgischer und US-amerikanischer Stellen. Der unabhängige Staat Kongo, für den er kämpfte, ist seitdem nie zur Ruhe gekommen.

Patrice Émery Lumumba war schon immer ein Unruhestifter. Früh muss Tasumbu Tawosa – so sein Geburtsname vor 100 Jahren, am 2. Juli 1925 – die Schule verlassen, und spätestens seit 1958, als Wortführer der Unabhängigkeitsbewegung, nennt man ihn nur noch Lumumba (“aufrührerische Massen”). Der Kolonialmacht Belgien sind Lumumbas Ziele und sein forsches Auftreten ein Dorn im Auge. Im Oktober 1959 wird er verhaftet und gefoltert, doch angesichts der andauernden Aufstände im Land wieder freigelassen. Der junge belgische König Baudouin (1930-1993) willigt gar in die staatliche Unabhängigkeit ein.

Der brillante Redner Lumumba gewinnt im Mai 1960 die ersten Parlamentswahlen, und so wird er – gegen alle Widerstände der weißen Eliten – erster Ministerpräsident einer unabhängigen Republik Kongo. Beim Festakt zur Unabhängigkeit Ende Juni kommt es zu einem Eklat. Während Baudouin, um Gesichtswahrung bemüht, die “zivilisatorischen Leistungen” der belgischen Krone und ihrer Siedler im Kongo preist, widerspricht ihm Lumumba in seiner Gegenrede aufs Heftigste: “Wir haben diesen gerechten und edlen Kampf ausgefochten, um die entehrende Sklaverei zu beenden, die uns ein beschämendes Unterdrückungsregime aufzwang. […] Unablässig wurden wir mit Spott, Beleidigung und Schlägen traktiert, bloß weil wir Neger waren.” Man werde die Massaker und die zahllosen Toten nicht vergessen.

Der König will ob dieses offenen Affronts sofort abreisen, lässt sich aber zum Bleiben überreden. Das Tischtuch zwischen den beiden ist jedoch zerschnitten, nicht nur für das abschließende Gala-Diner. Doch Lumumbas vordergründiger Triumph steht unter keinem guten Stern. Die Belgier entlassen das Land völlig unvorbereitet in die Unabhängigkeit. Für eine funktionierende Infrastruktur haben sie während ihrer Herrschaft nur dort gesorgt, wo sie die Transportwege für die erbeuteten Bodenschätze sichern sollte. Von Bildung oder Gesundheitsversorgung für die einheimische Bevölkerung konnte keine Rede sein. Schwerste Menschenrechtsverletzungen waren an der Tagesordnung.

Außen- wie innenpolitisch wehen dem neuen Regierungschef gleich mehrere Stürme ins Gesicht. Teile der Armee meutern, und nach Gerüchten über Massenvergewaltigungen weißer Frauen durch Soldaten interveniert Mitte Juli die belgische Armee. Tags darauf erklärt sich die südkongolesische Provinz Katanga – reich an Diamanten, Kupfer, Blei und Zink – für unabhängig von der Zentralregierung.

Nur die Sowjetunion bietet Lumumba Hilfe an. Desavouiert im Westen, im Stich gelassen von den UN, versucht er, die weltpolitische Konstellation des Kalten Krieges zu nutzen, indem er sich auf die Seite der Sowjets schlägt. Damit unterzeichnet Lumumba quasi sein Todesurteil, mitgeplant und gebilligt durch die CIA und den belgischen Geheimdienst, wie Brüssel später indirekt einräumte. Nach Monaten des Tumults und Bürgerkriegs wird Patrice Émery Lumumba am 17. Januar 1961 in Élisabethville/Katanga ermordet.

Belgiens Regierung sprach 2002 von einer “moralischen Mitverantwortung” und einer Mitwisserschaft König Baudouins. Und kürzlich wurde berichtet, dass dem letzten überlebenden Mordverdächtigen, heute 92 Jahre alt, ab 2026 womöglich doch noch ein Prozess in Belgien drohen könnte.

Ein alter Weggefährte nannte Patrice Lumumba später einen “Kometen, der über den Himmel zog und wieder verschwand”. Das Land Kongo ist seither nie zur Ruhe gekommen. Die Diktatur des “Leopardenmanns” Mobutu Sese Seko (1930-1997); der Putsch des zwielichtigen Lumumba-Getreuen Laurent-Desiré Kabila, der im Januar 2001 – fast auf den Tag 40 Jahre nach Lumumba – umgebracht wurde; der mörderische Vielvölkerkampf um Macht und Blutdiamanten: Schlaglichter auf einen Konflikt, bei dem auch EU-Staaten keine weiße Weste haben.