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Konfliktforscher: “Die Wut im Land ist gestiegen”

Protestaktionen nehmen nach Beobachtung des Konfliktforschers Andreas Zick an Schärfe zu. Proteste seien eigentlich gut für die Demokratie, sagte der Wissenschaftler dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Bielefeld. Nach Beobachtung des Konfliktforschers zeigen sich allerdings auch zunehmend Aggression und Gewaltbereitschaft. Zudem gebe es Versuche von Rechtsextremen, Protestaktionen zu unterwandern. Diese wollten eine Verständigung verhindern. Gerade in aufgeheizten Konflikten bleibe es jedoch wichtig, Wege für den Dialog zu finden.

epd: Öffentliche Proteste, aktuell von den Bauern, werden zunehmend schärfer und gewaltbereiter. Wie kommt es dazu?

Zick: Insgesamt ist die Wut im Land und insbesondere in der Mitte gestiegen. In der Mitte-Studie des letzten Jahres, in der wir eine repräsentative Umfrage durchgeführt haben, meinten mehr Menschen als zuvor, einige Politiker hätten es verdient, wenn die Wut gegen sie schon mal in Gewalt umschlägt. 13 Prozent der Befragten stimmten dem zu. Das ist ein mehr als doppelt so hoher Wert, im Vergleich zur Zeit der Corona-Pandemie, in der bereits die Wut gegen Politiker ausgeprägt war. Die Mitte hat sich in Teilen radikalisiert, hat Normen heruntergefahren und sich anstecken lassen.

Die Proteste werden in Handlungen, Protestsprüchen und -bildern aggressiver und die Drohungen entfernen sich zunehmend von den eigentlichen Protestinhalten. Das ist nicht bei allen Protestierenden der Fall, aber wir sehen heute in den Protesten mehr Wutbürger, die schon weit vorher Wut aufgebaut haben.

epd: Welche weiteren Ursachen sehen Sie dafür?

Zick: Der Rechtsextremismus und -populismus und die von neuen radikalen Gruppen aufgebauten und verbreiteten Verschwörungserzählungen, die in den vergangenen Jahren auch die Mitte angesteckt haben, wirken sich aus. Es gibt eine Normalisierung rechtsradikaler Sprache, Symbolik und Bilder. Dazu kommt, dass Extremisten aktiv Proteste aufsuchen und sich dort zeigen: Sie unterwandern die Proteste. Daher kommt es umso mehr darauf an, nicht auch die Propaganda zu übernehmen. Es sind kleine Gruppen, die in einer überhitzten Situation die Aggression leichter schüren können.

epd: Hat der Hass gegen einzelne Politiker zugenommen?

Zick: Hier wirken sich nun jahrelang aufgebaute Feindbilder von Politik und Politikern aus. Personen wie die Minister Habeck, Baerbock, Roth, Lauterbach und andere werden in den Sozialen Medien systematisch als Hassobjekte aufgebaut. Proteste auf der Straße werden im Vorfeld auf diese Ziele ausgerichtet. Das sehen wir daran, dass sie immer stärker die Privatperson angreifen und keinen Halt vor der Amtswürde machen. Lokalpolitik, Kommunalpolitik aus allen Richtungen erlebt das seit Jahren.

epd: Werden Proteste dadurch gefährlicher für die Demokratie?

Zick: Wir haben viele Krisen in unterschiedlichen Bereichen, die legitimen Protest gegen Maßnahmen erzeugen. Proteste sind eigentlich gut für die Demokratie und ein Mittel der Konfliktregulation. Der Bauernprotest ist verständlich. Nur stehen die Proteste mittlerweile im Wettbewerb und das erzeugt den Effekt, dass „Aggressionsbremsen“ in Teilen ausfallen.

epd: Ist das allein mit einer Unterwanderung von „Querdenkern“ und anderen radikalen Kräften erklärbar?

Zick: Die neuen rechtsradikalen wie ultrakonservativen Bewegungen, wie es in Teilen „Querdenker“ waren, sind selbst eine Folge von Veränderungen in der politischen Landschaft. Wir haben heute mehr „Querfrontdenkende“, also Menschen, die rechtsradikal und antikapitalistisch zugleich orientiert sind, also zuvor. Die neurechten Gruppierungen, Reichsbürger und andere haben sich verankern und ausbreiten können. Wir haben hier Einflüsse der internationalen rechtsradikalen Szenen, auch Einflüsse von Russland auf die Propaganda.

epd: Was sind angesichts dieser Erkenntnisse die besonderen Herausforderungen?

Zick: Die politische Landschaft hat sich verändert und mit ihr die Protestkultur. Das gelang auch, weil in den Krisenzeiten Vertrauen in die Bereiche Politik, Behörden und auch Gerichte schwindet. Das sind aber die Säulen der Demokratie, die Konfliktregulation leisten sollen. Werden die Institutionen infrage gestellt oder angegriffen, dann wird die Demokratie instabil. Die größte Herausforderung liegt meines Erachtens darin begründet, dass Teile der Mitte sich hat mitnehmen lassen und nun den Rechtspopulismus stark macht.

epd: Wie ist das zu erklären?

Zick: Das geschieht aus der Hoffnung heraus, dass nationale und autoritäre Identitäten in Krisenzeiten die Rettung sind. Eine nationale Nostalgie hat sich breit gemacht. Die Mitte ist in Teilen auch ratlos, wie der Demokratiedistanz zu begegnen ist. Zu lange auch wurde politische Gewalt nicht als solche bezeichnet. Die Behörden stellen seit einigen Jahren einen Anstieg an Hasskriminalität fest – insbesondere von Menschen, deren Ideologie nicht eindeutig links oder rechts zuzuordnen ist. Das drückt die neue Dimension einer antidemokratischen Gegenbewegung aus.

epd: Wenn durch die hasserfüllten Proteste keine Gespräche mehr möglich sind, wie bei der Blockade gegen Wirtschaftsminister Habeck, was wollen die Akteure dann erreichen?

Zick: Das ist das Fatale an der Situation. Der grüne Wirtschaftsminister Habeck symbolisiert auch einen Politiker, der breite Anerkennung in der Art und Weise seiner Dialogfähigkeit und Kommunikationsbereitschaft findet. Die Proteste, besonders Rechtsextreme, versuchen die Kommunikation zu zerstören: Es soll kein Dialog zustande kommen. Davon sollten sich die Protestierenden nicht anstecken lassen. In einer solchen Situation, wo der Konflikt unüberbrückbar wird, müssen Wege für den Dialog gefunden werden. Das kann in der Lobby, in Hinterzimmern, über eine Mediation oder auf anderen Wegen geschehen. Die Demokratie lebt von Möglichkeiten der Konfliktregulation. Aggression und Gewalt versuchen, diese zu behindern.

epd: Sehen Sie eine Gefährdung der Demokratie durch die Radikalisierung der Proteste und dem gleichzeitigen Stimmenzuwachs der AfD?

Zick: Die vielen Studien, die vorliegen, zeichnen insgesamt ein zuverlässiges Bild: Die Distanz gegenüber eingeübten demokratischen Normen und Regeln, Werte, auf die das Land immer stolz war, sind eingebrochen. Das betrifft respektvolle Kommunikation selbst bei harten Konflikten, Toleranznormen und Bremsen für Populismus und Extremismus. Parteien wie die AfD sind weniger bekannt über ein politisches Programm, sondern über Feindbilder und die Meinung, der Staat wäre Feind des Volkes. Aber die AfD selbst ist Folge gesellschaftlicher Veränderungsprozesse und sie muss sich damit beschäftigen, wie rechtsextrem sie ihr Modell von Gesellschaft treiben möchte und wen sie selbst an die Macht lässt.

epd: Was empfehlen Sie aus der Erfahrung der Konfliktforschung: Wie lässt sich verhindern, dass Protestaktionen in Gewalt eskalieren?

Zick: Es war gut, wie der Bauernverband und viele Protestierende auf die rechtsradikalen Feindbilder sofort reagiert haben. Die Erklärung, dass Normen eingehalten werden, sind wichtig. Das hat schnell funktioniert und die menschenfeindliche Propaganda wurde nur von wenigen verharmlost. Proteste müssen prüfen, ob die Gewaltdistanz, die sie legitimiert, hält. Das wird in Zukunft schwieriger, weil die Sozialen Medien, die die Proteste aufbauen, einflussreicher sind als früher. Der Einfluss rechter Verschwörungserzählungen hat auch Teile der Protestierenden mitgenommen, obwohl sie sich von Rechtsextremen distanzieren.

epd: Was ist nötig, um bei den Agrarprotesten Kompromisse zu erreichen?

Zick: Der Konflikt macht die Schwachstellen der Agrarindustrie sichtbar. Für diese müssen langfristig Lösungen gefunden werden. Die Bäuerinnen und Bauern sind Opfer von anderen Maßnahmen und Strukturen. Diese Sorgen sollten nicht Populisten und Extremisten überlassen werden, die mit Heilsversprechen locken um den Preis der weiteren Radikalisierung.