Mehrere Nähmaschinen stehen im Raum, Kleidungsstücke und Taschen hängen an Ständern. Jugendliche und junge Männer lernen hier das Schneiderhandwerk. Zwei Stockwerke höher ist eine kleine Jugendherberge untergebracht: die „Villa Olanda“ in Torre Pelice in Norditalien. Es ist eine diakonische Einrichtung der Waldenserkirche (siehe Kasten). Die kleine reformierte Kirche unterstützt mit ihren Projekten Kinder und Jugendliche aus schwierigen Familienverhältnissen, zudem afrikanische Migrantinnen und Migranten.
Ein Flüchtling aus Ghana macht eine Schneiderlehre. Im Nähraum erzählt er einer Gruppe Pfarrerinnen und Pfarrer aus dem Kirchenkreis Recklinghausen auf Englisch, wie wichtig es für ihn ist, etwas zu lernen.
Victoria Munsey, Vizepräsidentin der Synodalkommission für Diakonie, hat ihren Gäste bei der Führung durch Torre Pelice viel zu zeigen, darunter auch ein Seniorenzentrum. „Kreative Diakonie“ als Antwort auf die „Wahrnehmung aufkommender Nöte“ nennt ein Recklinghäuser Pfarrer die Arbeit der Waldenser anerkennend.
In der Waldenserkirche gibt es eine von der Synode gewählte Kommission für Diakonie. Die Synode legt auch die Schwerpunkte der Arbeit für das nächste Jahr fest, wie Munsey erläuterte. Diakonische Aufgaben haben dabei einen hohen Stellenwert.
Das Geld dafür kommt aus der „Otto per mille“ (acht Promille) genannten Kultursteuer. Die muss jeder Bürger in Italien zahlen. Er bestimmt allerdings auch, welche soziale oder kulturelle Einrichtung Geld erhalten soll. Jedes Jahr entscheiden sich mehr als 6000 Italiener dafür, dass es an die Waldenserkirche fließt.
Für die Situation der Waldenser – deren Geschichte bis weit in die Neuzeit nicht frei von Konflikten mit der katholischen Kirche und in Italien quasi Staatskirche ist – war der Besuch von Papst Franziskus der Gemeinde in Turin von enormer Bedeutung. Besonders weil er dabei um Vergebung für die Verfolgungen durch seine Kirche über Jahrhunderte gebeten hatte. Zugleich sorgte der Papst mit seinem Besuch dafür, dass die mit heute rund 20 000 Mitgliedern sehr kleine Waldenserkirche und andere protestantische Kirchen in Italien bekannter geworden sind.
Ein Besuch der Gemeinde in Turin macht deutlich, dass die Kirche mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hat wie viele evangelischen Gemeinden in Deutschland auch. So erzählt die Turiner Pfarrerin Maria Bonafede, wie versucht wird, jüngere Gemeindeglieder etwa mit Gesprächsgruppen, Bibelkreisen oder kulturellen Angeboten weiter an sich zu binden.
Beachtung findet die Kirche aber nicht zuletzt wegen ihrer angesehenen Flüchtlingsarbeit. 2015 gelang es den Waldensern und anderen protestantischen Kirchen in Italien, dass tausend Flüchtlinge über einen „humanitären Korridor“ einreisen konnten. Im Rahmen dieses Projektes der Hilfsorganisation Mediterranean Hope haben die Waldenser zusammen mit der katholischen Gemeinschaft St. Egidio und anderen Hilfsorganisationen für ein Jahr die Flüchtlinge betreut, die im Libanon festsaßen. Einen „humanitären Korridor“ will auch die westfälische Landeskirche einrichten. Verhandlungen dazu laufen.
Das Thema Flüchtlinge und Migration beschäftigt die ganze Kirche intensiv, wie Eugenio Bernardini, Moderator der Waldenser, erklärt. „Manche Flüchtlinge, die nach Italien kommen und dort bleiben, sind Christinnen und Christen vor allem aus presbyterianischen und methodistischen Kirchen in Schwarzafrika.“ Zuerst seien ethnische Gottesdienste nebeneinanderher gefeiert worden. Vor einigen Jahren aber habe ein Prozess begonnen, in dem die Gemeindemitglieder „näher zusammengerückt“ seien, um „gemeinsam Kirche zu sein“. In vielen Gemeinden würden nun gemeinsame Gottesdienste gefeiert – mit Elementen aus den verschiedenen Traditionen. Benardini: „Die Gesellschaft ändert sich, warum soll sich die Kirche nicht ändern?“ Die Gesellschaft sei multikulturell geworden. „Dies hat auch Auswirkungen auf die Kirche“, so Bernardini.
Bei der Waldenserkirche sind zurzeit drei Pastoren aus Afrika tätig: zwei aus Ghana, einer aus dem Senegal. Ein weiterer Pastor aus den Philippinen hat in Italien studiert. „Wir befinden uns auf einem langsamen Weg, der zwei, drei Generationen dauern kann.“
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Kleine Kirche ganz groß
Die diakonische Arbeit und besonders die Flüchtlingshilfe der Waldenser findet Beachtung und Anerkennung