Genau 100 Jahre nach der Wahl einer ersten reaktionär-konservativen Landesregierung in Thüringen sieht die Klassik Stiftung Weimar das Land erneut am Scheideweg. 2024 sei daher ein Jahr der Prüfung für die Gesellschaft, sagte Präsidentin Ulrike Lorenz am Donnerstagabend beim Jahresempfangs der Klassik Stiftung. Daher werde die Stiftung die ambivalente Moderne im 20. Jahrhundert zum Leitthema auch ihres Handelns in diesem Jahr machen.
In diesem Sinne wolle die Stiftung die ihr gewährte Kunstfreiheit im Wahljahr nutzen. Sie werde mit Kompetenzen und Kernthemen Denkanstöße vermitteln, sagte Lorenz. Möglichst viele Menschen sollten sich mit ihren grundverschiedenen Erfahrungen und Erwartungen zum vernunftbegabten Denken und Handeln verführen lassen.
Thüringen mache vor, dass Regierungen auch ohne klare Mehrheiten im Parlament handlungsfähig seien. Das sei mit viel Arbeit und Streit verbunden, doch es könne funktionieren und sei nicht ehrenrührig. Die demokratische Wahl eines Ministerpräsidenten mit gegendemokratischen Ambitionen sei gegenwärtig unwahrscheinlich, aber denkbar. Es wäre jedoch die größte Erschütterung der deutschen Politik seit Gründung der Bundesrepublik.
Gastrednerin zum Jahresempfang war die französische Schriftstellerin Cécile Wajsbrot. Die Welt sei aus den Fugen geraten, sagte sie. Und selten ziehe die Gesellschaft die richtigen Schlüsse daraus. Etwa mit Blick auf den Krieg in der Ukraine beklagte sie, dass nach dem Verzicht auf russisches Gas nicht nach klimaneutralen Energieformen gesucht werde, sondern stattdessen nach Gasquellen in anderen Regionen.