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Kirchentag sucht Halt in unsicheren Zeiten

Der 39. Deutsche Evangelische Kirchentag in Hannover setzt inmitten politischer Umbrüche und Konflikte auf Hoffnung und gesellschaftlichen Zusammenhalt. „Unsere Demokratie braucht lebendige Resonanzräume wie den Kirchentag“, sagte Kirchentagspräsidentin Anja Siegesmund am Mittwoch zum Auftakt des fünftägigen Christentreffens vor Journalisten. Das seit mehr als 70 Jahren regelmäßig stattfindende Protestantenforum sei der Ort für Diskussionen, die „anderswo so nicht geführt werden können, aber geführt werden müssen“.

Christen hätten nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich politisch einzumischen und Stellung zu beziehen, betonte Siegesmund. „Das, was uns Christen antreibt, legen wir als Bürger im Miteinander nicht ab.“ Die frühere thüringische Umweltministerin (Grüne) bezog sich dabei auf eine Kritik von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU). Die Katholikin hatte sich zu Ostern in der „Bild am Sonntag“ von den Kirchen mehr Sinnstiftung und weniger Stellungnahmen zu tagesaktuellen Themen gewünscht.

Der Kirchentag steht unter dem Leitwort „mutig – stark – beherzt“. Geplant sind rund 1.500 Veranstaltungen, darunter Bibelarbeiten, Gottesdienste, Diskussionsforen, Workshops und kulturelle Angebote. Zahlreiche prominente Bundespolitiker werden erwartet, unter ihnen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der geschäftsführende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Bundestagspräsidentin Klöckner wird eine Bibelarbeit leiten, ebenso wie die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Bis zum Mittwochmorgen wurden nach Angaben der Veranstalter rund 65.000 Tickets verkauft, etwas mehr als vor zwei Jahren in Nürnberg. Ob die erwartete Teilnehmerzahl von 100.000 erreicht wird, sei schwer abzuschätzen und hänge von vielen Faktoren ab, hieß es. Der Kirchentag 2023 in Nürnberg zählte am Ende rund 70.000 Teilnehmende. 2019 in Dortmund waren es 120.000.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte vor der Veranstaltung, beim Kirchentag werde zur Verteidigung der Demokratie eingeladen. Der evangelische Landesbischof Ralf Meister aus Hannover erklärte, angesichts einer depressiven Grundstimmung und einer verbreiteten Melancholie in der Gesellschaft könne vom Kirchentag ein Zeichen der Ermutigung ausgehen. Als kontroverse Themen des Kirchentags nannte Generalsekretärin Kristin Jahn neben der Klimakrise unter anderem den Konflikt in Israel und im Gaza-Streifen und Machtstrukturen in der Kirche.

Kirchenvertreter riefen bei einer Gedenkveranstaltung am Maschsee zum Engagement gegen den wiedererstarkenden Rechtsextremismus auf. „Wo wart Ihr, warum habt Ihr das nicht verhindert?“ – diese Fragen müssten sich die Menschen auch heute wieder stellen lassen, sagte Kirchentagspräsidentin Siegesmund. Es sei wichtig, sich zu erinnern, wachsam zu sein und Widerstand zu leisten.

Siegesmund verwies auf die symbolische Bedeutung des Maschsees. „Hier gibt es vielfältige Bezüge zum Nationalsozialismus“, sagte sie. So sei der künstlich angelegte See, der heute zur Naherholung diene, von Zwangsarbeitern ausgehoben worden. Auf dem Ehrenfriedhof direkt gegenüber seien im Jahr 1945 KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene bestattet worden.