Von Martin Frank.
Einige Äthiopier aus Berlin machen sich in diesen Tagen nach erzwungenen Jahrzehnten im Exil auf, um ihre alte Heimat zu besuchen. Dort herrschen Aufbruchstimmung und eine große Euphorie. Dennoch ist das Chaos in manchen Landesteilen Äthiopiens größer als vor dem Wandel. Letztes Jahr habe ich in meiner Funktion als Afrikareferent des Berliner Missionswerks Gemeinden der Evangelischen Mekane Yesus Kirche im Westen Äthiopiens besucht. Im Moment wäre das nicht möglich. Vor Kurzem erreichte das Missionswerk ein Hilferuf der Geschwister aus der Region West-Wollega, dem Westen Äthiopiens. Gerade dort, um die Stadt Dembi Dollo herum, sind viele Kirchengemeinden von Unruhen betroffen. Wie passt ihre Bitte um Unterstützung zu der Aufbruchstimmung im Land? Im April 2018 wurde Abij Achmed, der zur Oromo-Volksgruppe gehört, Premierminister in Äthiopien. Das Land ist seitdem in einem grundlegenden Wandel, den vor einem Jahr niemand für möglich gehalten hätte. Viele Exilgruppen, allen voran die OLF (Oromo Liberation Front), die seit Jahrzehnten für einen Regimewechsel gekämpft hat, sind auf seine Einladung hin nach Äthiopien zurückgekehrt. Es gibt unzählige Veränderungen. Wie in Deutschland nach 1989 ist die Grenze zu Eritrea, mit dem in Rekordzeit ein Friedensvertrag geschlossen wurde, wieder offen. Viele Frauen wurden ins neue Kabinett Achmeds berufen. Angehörige afrikanischer Staaten erhalten am Flughafen ohne weiteres ein Einreisevisum, auf das sie früher von ihrem Heimatland aus monatelang warten mussten. Im Februar 2019 wurde ein neues Gesetz für Nichtregierungsorganisationen verabschiedet, das es nach Jahrzehnten ermöglicht, Menschenrechtsarbeit zu leisten.Durch die Transformation im Land gibt es jedoch auch gesellschaftliche Gruppen, die an Einfluss verlieren, besonders die Volksgruppe der Tigre, die den innersten Machtzirkel des alten Regimes stellte. Es sollen Provokateure unterwegs sein, die Chaos stiften. Der Staat kann daher die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger nur unzureichend gewährleisten. Einige regionale Behörden agieren unabhängig von der Zentralregierung. Das ganze Land scheint sich über den zukünftigen Kurs nicht sicher zu sein. Die Vertreibungen mancher Bevölkerungsgruppen durch verschiedene militärische Gruppierungen haben zugenommen. Im größten Bundesstaat Oromia gibt es immer wieder Kämpfe zwischen Regierungsarmee und örtlichen Rebellen. Die OLF muss ihren Weg von der militärischen zur politischen Macht erst finden. Durch die Vorkommnisse der letzten Monate wurden nach Auskunft des Kirchenpräsidenten unse-rer Partnerkirche, Yonas Yigezu, 100 Kirchen zerstört. 600 Gemeindeleitende mussten infolge der Vertreibungen ihre Gemeinde verlassen. 500 Pfarrerinnen und Pfarrer haben seit einem halben Jahr kein Gehalt mehr bekommen. Grund hierfür ist, dass bewaffnete Rebellengruppen wie die OLF in das Hinterland von Dembi Dollo geflüchtet sind und die Landbewohner zwingen, sie mit Essen zu versorgen. Die nachrückende Regierungsarmee sieht die Bauern als Komplizen der OLF und vertreibt sie mit Gewalt von ihrem Land. Sie müssen in den Busch fliehen und können ihre Felder nicht mehr bestellen. Die Gemeinden unserer Partnerkirche verwaisen. An kampffreien Tagen oder Nächten kommen die meisten Bauern auf das Feld und holen sich Nahrung. Für die Pfarrer und Evangelisten ist das nicht möglich. Ohne die Spenden der Kirchenmitglieder im Gottesdienst, der nicht mehr stattfinden kann, haben sie keinerlei Auskommen. Der Zehnte und die Sonntagskollekte sind ihre Versorgungsquellen. Ein Bankkonto haben die Wenigsten, also kann für das Pfarrgehalt nur gesorgt werden, wenn sich die Gemeinde versammelt. Kirchenangestellte sind andernfalls auch nicht versichert und niemand zahlt mehr in ihren Pensionsfonds ein. Chali Joseph, örtlicher Präsident der Mekane Yesus Kirche in West-Wollega, hat in den letzten Tagen mit Mitgliedern verschiedener Kirchenkreise in Kochoba und GarjedaGawo gesprochen. In der Gemeinde in Kebe, die mit uns direkt durch eine Partnerschaft verbunden ist, traf er nur noch den Pfarrer an. In beiden Kirchenkreisen ist die Lage desolat. Sowohl OLF als auch Regierungstruppen seien noch in der Region unterwegs, wurde ihm berichtet. Menschen wurden ermordet oder seien auf der Flucht. Sie schlüpften bei Verwandten in anderen Orten unter oder gingen direkt in die Hauptstadt nach Addis Abeba. Nur die ganz Armen und der Pfarrer blieben allein zurück. Der Pfarrer sagte ihm: „Nachdem die Gemeinde so viel Geld in den neuen Kirchbau investiert hat, wurden wir gezwungen, das Projekt zu stoppen. Wir wissen nicht, wann sich die Situation beruhigt und wir zu unseren täglichen Aktivitäten zurückkehren können.“ Einer der Pfarrer, Reverend Supha, hat Augenprobleme. Da die Gemeinde ihm nicht die dringend notwendige medizinische Behandlung zahlen kann, droht er zu erblinden. Wenn Sie die Gemeinden in West-Äthiopien unterstützen möchten, spenden Sie bitte auf das Spendenkonoto des Berliner Missionswerks bei der Evangelischen Bank. Ihre Spende geht direkt an die Synode in Dembi Dollo zu Präsident Chali Joseph, der die Unterstützung in das betroffene Gebiet bringt.
IBAN: DE86 5206 0410 0003 9000 88 BIC: GENODEF1EK1, Stichwort (unbedingt anfügen): „Konto Nr. 2302 Nothilfe 2019“