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Kirche löst Israel als Volk Gottes nicht ab

UK 32/15 Seite 3: Die Bibel lesen
Verwundert reibt man sich die Augen. Uns wird im 21. Jahrhundert nebenbei die Enterbung Israels mitgeteilt. 70 Jahre nach dem Holocaust und nach über 60 Jahren Aufarbeitung der antijüdischen Tendenzen in Kirche und Theologie gestattet eine evangelische Kirchenzeitung die offene Verbreitung der unheilvollen Substitutionstheologie: Die (heiden-) christliche Kirche ersetzt Israel als Volk Gottes; Israel hat abgewirtschaftet.
So lesen wir: „Zwölf Jünger entsprechen den zwölf Stämmen des ersten Gottesvolkes.“ Der Autor der Bibellese vertritt hier offen, dass Israel das erste Gottesvolk war. Das heißt auf Deutsch, dass es nun ein zweites, neues Gottesvolk gibt: die (heiden-) christliche Kirche. Hat der Autor nicht die – nach intensivem Nachdenken – geänderten Grundartikel der Evangelischen Kirche von Westfalen gelesen? Weiter heißt es, dass diese zwölf Jünger nun „gewissermaßen die Stammväter des neuen Bundes“ seien. Im Zusammenhang mit dem Satz direkt vorher („erstes Gottesvolk“), müssen wir das dann nicht so verstehen, dass die zwölf Jünger nun Stammväter des zweiten, neuen Gottesvolkes sind, nämlich der (heidenchristlichen) Kirche?
Aber in Matthäus 10 werden die zwölf Jünger gerade nicht zu den Heidenvölkern gesandt, sondern allein zu Israel. Jesus ist gekommen, um das endzeitliche Israel zu sammeln. Die Zwölf  unterstützen ihn dabei (Matthäus 19,28). Auch wenn am Ende des Matthäusevangeliums der Missionsbefehl hin zu den Völkern gegeben wird, Israel wird als Volk Gottes damit nicht abgelöst. Und die zwölf jüdischen Jünger werden nicht zu Heiden-Christen, die Stammväter eines sogenannten „neuen Bundes“ sein sollen, der ohne Israel auskommt.
Vieles ist in der Bibellese an diesem Punkt vage, aber dahinter steckt der kirchengeschichtlich mächtige Strom der Substitutions-Theorie, die unser Denken tief geprägt hat (ich schließe mich da nicht aus). Gerade weil diese Theorie so wirkmächtig ist, bleibt sie unsichtbar und unserem Denken unbewusst. Wir merken selber nicht, was wir sagen.
Der Autor führt aus, dass zu Zeiten der Niederschrift des Matthäus­evangeliums das Fundament für die „Weltkirche“ bereits Jahrzehnte vorher durch Paulus gelegt worden sei. Hier kommt wieder zum Tragen, dass der Autor (UK 12/15, Seite 3) als Adressatin des Römerbriefes die eine, große, (heiden-) christliche Gemeinde in Rom ansieht. Dieses Verständnis der „Gemeinde in Rom“ ist aber überholt. Es ist ein Eintragen unserer Vorstellungen in den Römerbrief und ins Matthäusevangelium. Warum?
1. Paulus schreibt nicht an eine, sondern an viele Hausgemeinden in Rom. Röm. 16,3, 5, 10: „Grüßt Priska und Aquila …, grüßt auch die Gemeinde in ihrem Haus … Grüßt die aus dem Haus des Aristobul.“ Es bestehen also mindestens drei Hausgemeinden.
2. Diese Hausgemeinden in Rom, die an Jesus als den Messias glaubten, waren Synagogen, jüdische Versammlungen. Diese Jesus-Synagogen, an die Paulus den Römerbrief schreibt, gehörten zum großen Verband der 12 000 Juden, die in Rom in Hunderten von Synagogen organisiert waren. Priska und Aquila waren Juden und hatten eine Synagoge in ihrem Haus. Aristobul war ein Jude und hatte eine Synagoge in seinem Haus. Die Mehrheit der Mitglieder der Jesus-Synagogen Roms waren damals: Juden, die an Jesus glauben. Daneben gab es gottesfürchtige Heiden (Römer, Griechen), die zum Glauben an Jesus gekommen waren und sich zur Jesus-Synagoge hielten. Die waren die Dazugekommenen. Paulus redet in Römer 9-11 gerade diese gottesfürchtigen Heiden an und betont, dass sie sich als (in den edlen Ölbaum Israel eingepfropfte) fremde Äste nicht gegen die Wurzel rühmen oder meinen sollen, dass sie das Erbe Israels angetreten hätten.
Summa: Israel ist und bleibt das Volk Gottes. Wir Heiden-Christen, wir als heidenchristliche Kirche haben Zugang zum Heil des Gottes Israels nur über die Juden. Wir sind und bleiben die zu Israel Dazugekommenen. Reiner Fröhlich, Kierspe

Die Zuschrift unseres Lesers Klaus Meyer-Jösting in der Ausgabe 33 ist leider falsch wiedergegeben worden. Der entsprechende Absatz muss lauten: „Die Hauptveranstaltung der westfälischen Landeskirche zum Dekadenthema ,Reformation und die Eine-Welt‘ unter dem Motto ,Weite wirkt‘ 2016 wird in Halle/Westf. stattfinden. Die Landeskirche hat dafür das Stadion angemietet, das den Namen eines weltbekannten deutschen Textilproduzenten trägt. Leider ist Gerry Weber noch nicht dem Textilbündnis von Entwicklungshilfeminister Müller beigetreten, wie jeder in der von UK erwähnten Liste überprüfen kann.“ Wir bitten, das Versehen zu entschuldigen. Ihre UK-Redaktion