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Keine Ruhe in Frieden

Wie bis heute das Ende des Ersten Weltkrieges nur bedingt ein friedvoller Anfang war, zeigt Friederike Höhn. Sie besucht mit uns deutsche Soldatengräber in der israelischen Stadt Nazareth, die hier zwischen 1914 und 1918 angelegt wurden. Der Artikel lohnt sich für alle, die verstehen wollen, wie der noch immer währende Unfrieden in dieser Region eigentlich zustande kam.

Vor 100 Jahren hatte das Kriegsgeschehen die Welt fest im Griff. Das Ende des Ersten Weltkrieges war noch fern – erst am 11. November 1918 wurde ein Waffenstillstand unterzeichnet. Schon Ende Oktober stoppten die Kampfhandlungen in Palästina. Deutsche waren auch hier im Einsatz, etwa 1000 von ihnen kehrten nicht zurück in die Heimat. Ein Rückblick auf einen Krieg, der eine Region erschüttert hatte – mit fatalen Auswirkungen bis heute. Friederike Höhn war vor Ort

Georg Lukas, Alfred Gerechter, Hermann Weger, Alfred Rummel, Johann Wrede, Hartmann Johannes, Wilhelm Pfeiffer: Gold leuchten die Namen von den Grabplatten. Die jungen Männer stammten alle aus Berlin, doch begraben sind sie in Nazareth, tausende Kilometer fern der Heimat, gemeinsam mit mehr als 250 weiteren deutschen Soldaten, die in Palästina während des Ersten Weltkrieges ums Leben kamen. Wer waren diese Männer und wie kamen sie hierher? Die sieben Berliner gehörten zu den etwa 25000 deutsche Soldaten, die zwischen 1916 und 1918 im Nahen Osten, in Palästina und Ägypten, dem heutigen Syrien, Irak und Jordanien kämpften. Gemeinsam mit Truppen aus dem Habsburgerreich unterstützten sie die osmanischen Bundesgenossen bei dem Versuch, den Suezkanal einzunehmen, den wichtigen Verkehrsweg zwischen dem Mittelmeer und Asien. Dieser stand seit 1882 unter britischer Kontrolle. Doch zwei Offensiven scheiterten und die Briten gingen zum Angriff über. Am 11. Dezember 1917 eroberten sie Jerusalem. Nach 400 Jahren befand sich die Stadt nun nicht mehr unter der Herrschaft der Osmanen. Die deutschen Truppen zogen sich nach Nazareth zurück, errichteten dort ihr Hauptquartier. Nach weiteren Kämpfen im Jordantal eroberten arabische Truppen unter britischer Führung schließlich Damaskus. Am 30. Oktober 1918 wurde ein Waffenstillstand geschlossen. Der Krieg im Nahen Osten war beendet. Etwa 1000 deutsche Soldaten kehrten nicht mehr in die Heimat zurück, sie starben im Kampf, an Krankheiten und Verwundungen. Viele von ihnen haben keine Grabstätte gefunden, so auch der Berliner Arzt Hermann Jaffé oder Sergeant Alfred Bock, geboren am 14. Juli 1892 in Berlin. In Nazareth, im Hospital „Zur Heiligen Familie“ (Holy Family Hospital) der österreichischen Barmherzigen Brüder wurde im Dezember 1917 ein Feldlazarett eingerichtet, zu dem auch ein Friedhof gehörte. 51 Soldaten fanden hier bereits während des Krieges ihre letzte Ruhestätte. Der heutige Friedhof wurde am 30. Juni 1935 eingeweiht, nachdem verstreute Grabstätten aus dem ganzen Land dorthin verlegt worden waren. An der Feier nahmen auch Vertreter der NSDAP und eine Abordnung der Hitlerjugend teil. Die Hakenkreuzflagge wehte über der Stadt Jesu Christi. In der Ferne sind die Verkündigungskirche und die Altstadt zu erkennen, Ziele für Pilger aus aller Welt. Doch zum Soldatenfriedhof verirrt sich wohl kaum einer von ihnen. Er ist auch gar nicht so leicht zu finden. Nur wer sich vorher informiert hat, weiß, dass der Schlüssel vom Pförtner des Krankenhauses verwaltet wird. Durch den Hinterausgang gelangt man durch ein Tor, einige Stufen hinauf auf ein Plateau. Die NS-Architektur fällt sofort ins Auge, sie ist monumental und kühl. Durch einen Andachtsraum geht es zu den Gräbern. Drei schmale Gassen, Mauern, in denen die Tafeln mit Dienstgrad, Name, Einheit und Todesdatum eingelassen sind, unterbrochen durch Rundbögen. Es ist hell, ein paar Geranien schmücken die akkurat gepflegten Gräber. 261 Soldaten sind hier bestattet.

Ein katholischer Theologe bringt die Toten zum LebenDass wir mehr erfahren können über die Menschen, die hinter den goldleuchtenden Namen stecken, ist Norbert Schwake, dem ehemaligen Chefarzt der Geriatrie des Krankenhauses, zu verdanken. Der deutsche Arzt und katholische Theologe kümmert sich seit 2002 um den Friedhof und hat sich intensiv mit dessen Geschichte, aber vor allem mit den Schicksalen der hier bestatteten Soldaten beschäftigt. „Mein Ziel war es, jeden einzelnen der in Israel begrabenen deutschen Soldaten aus seiner Anonymität zu holen“, schreibt Schwake im Vorwort zu dem Buch, das aus seinen Recherchen entstanden ist.Dank ihm wissen wir, dass Georg Lukas in Wriezen geboren wurde und in der Wartburgstraße in Berlin-Schöneberg zu Hause war, bevor er in den Krieg zog. Er starb 1918 durch einen Hüftschuss und wurde ursprünglich in Jericho begraben. Wir wissen auch, dass Alfred Rummel gerade 20 Jahre alt war, als er am 11. Mai 1918 im Jordan ertrank. Und wir erfahren, dass Alfred Gerechter jüdischen Glaubens war – auch wenn neben seinem Namen auf der Steinplatte ein Kreuz platziert wurde. Wie die meisten Soldaten, die an der sogenannten Palästinafront kämpften, hatten sich wahrscheinlich auch diese Männer freiwillig dafür gemeldet, in den Nahen Osten zu gehen.Der Krieg machte scheinbar Unmögliches möglich: eine Reise in den Orient, eine Pilgerfahrt zu den heiligen Stätten. Eine „geradezu märchenhafte Aussicht“, „ich war überglücklich“, „eine freudigere Nachricht hätte mich kaum treffen können“ – so beschrieben einige Soldaten die Aussicht auf ihre Versetzung an die Front in der Wüste in ihren Tagebüchern. Die Reise dorthin konnte mehrere Monate dauern und führte über den Balkan bis nach Konstantinopel und von dort weiter nach Aleppo, Damaskus oder Jerusalem.In diesen Städten herrschen auch heute noch Krieg und Dauerkonflikt. Ursachen dafür liegen auch im Ersten Weltkrieg. Das Schicksal der Region wird noch heute von dem Krieg bestimmt, der vor beinahe 100 Jahren endete. „Die moderne politische Staatenwelt des Nahen Ostens ist eine direkte politische Folge des Ersten Weltkrieges. Die Instabilität, die diese Region fortan prägen sollte, wurzelt in den Entscheidungen und Weichenstellungen der unmittelbaren Nachkriegszeit“, schreibt der Historiker Marcel Serr. Nach dem Ende des Osmanischen Reiches fiel es dem Völkerbund zu, das Gebiet zu verwalten. Dieser gab die Aufgabe 1920 an die Siegermächte des Krieges weiter: Frankreich erhielt das Mandat für Syrien und den Libanon, Großbritannien bekam Ägypten, Transjordanien, Palästina und den Irak zugesprochen. Die beiden Staaten hatten bereits 1916 die Region heimlich untereinander aufgeteilt. Die dabei erfolgten Grenzziehungen nahmen keine Rücksicht auf kulturelle oder ethnische Strukturen – was bis heute zu Konflikten führt. Gleichzeitig hatten die Briten sowohl den Arabern als auch den Juden Hoffnungen auf die Gründung eines eigenen Staates auf dem Gebiet von Palästina gemacht. Die Balfour-Deklaration von 1917 befürwortete eine „nationale Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“. Bereits zuvor hatten sich die Briten die Unterstützung arabischer Hilfstruppen im Kampf gegen das Osmanische Reich gesichert – und ihnen dafür die Unabhängigkeit in Aussicht gestellt. Infolge dieser unvorsichtigen Versprechungen spitzte sich die Lage in Palästina seit den 1920er Jahren zu. Es kam zu Aufständen und ständigen Konflikten um Land, Juden und Araber bekämpften einander mit Milizen. Die Zustände waren bürgerkriegsartig. Am 14. Mai 1948 legte Großbritannien sein Mandat überfordert nieder – am selben Tag verkündete David Ben Gurion die Gründung des Staates Israel. Sofort marschierten Truppen aller arabischen Nachbarstaaten ein. Der folgende Palästinakrieg oder Israelische Unabhängigkeitskrieg markiert den Beginn des bis heute andauernden Nahostkonflikts. Seither sind 70 Jahre vergangen, 100 Jahre ist der Erste Weltkrieg in diesem Jahr zu Ende. Doch von Frieden keine Spur.

Zum Weiterlesen: Norbert Schwake, Deutsche Soldatengräber in Israel. Der Einsatz deutscher Soldaten an der Palästinafront im Ersten Weltkrieg und das Schicksal ihrer Grabstätten, Aschendorff-Verlag, Münster 2008, 351 Seiten, 24,80 Euro