„,s ist Krieg! ‚s ist Krieg! O Gottes Engel wehre und rede du darein!“, schrieb der Dichter Matthias Claudius im Jahr 1778. „‚s ist leider Krieg – und ich begehre, nicht schuld daran zu sein!“
Gut 230 Jahre später herrscht kein Krieg bei uns – aber er tobt in der Welt um uns herum. Menschen, die Terror, Unterdrückung und Armut entfliehen wollen, erleben auf dem Weg in das friedliche Europa vielfältige Gewalt. Sie werden beraubt, bedroht, vergewaltigt und in Lager gepfercht. Sie ertrinken im Mittelmeer oder werden erschossen beim Versuch, Grenzen zu überwinden.
Wir sehen all das und reagieren wie schon der Dichter: Wir begehren, nicht schuld daran zu sein.
Wer aber genau hinschaut, sieht eine andere Wahrheit: Wir machen uns auf viele Weise mitschuldig an der Gewalt, wenn wir uns von Politikern und Fachleuten aller Art einreden lassen, dass es zu einer Politik der Abschottung und Abschreckung keine Alternative gibt.
Denn es gibt Alternativen. Wir finden sie, wenn wir Kreativität und Mut in die Suche danach stecken, statt vor den Herausforderungen an unsere Menschlichkeit und Nächstenliebe zu kapitulieren. Das sollten und dürfen wir von unseren Politikern einfordern. Zum Beispiel mehr Geld für die Aufnahme und Integration der Flüchtlinge. Oder das konsequente Angehen gegen die Behauptung, dass Europa seine Identität verliert, wenn noch mehr Menschen anderen Glaubens und anderer Prägung hier dauerhaft leben. Und ernsthafte Anstrengungen für bessere Lebensbedingungen in den Krisenländern, aus denen die Menschen fliehen.
Letzteres ist die schwierigste, aber nachhaltigste Lösung, denn die allerwenigsten Menschen verlassen gern und freiwillig ihre Heimat. Auch hier gilt: Wir sind mitschuldig an Armut, politischer Unterdrückung, Korruption, Rechtlosigkeit und Kriegen, weil wir durch unseren Lebensstil die Ausbeutung von Menschen und Ressourcen unterstützen und begünstigen. Konsumieren nach der Devise „Weniger ist mehr“ und die Unterstützung des fairen Handels sind kleine, aber wichtige Schritte, um hier etwas zu verändern.
Überhaupt ist der Weg der kleinen Schritte die beste Möglichkeit, um die Behauptung der Alternativlosigkeit zu widerlegen. Denn es ist ja möglich, etwas zu tun. In vielen Orten gibt es inzwischen große Hilfsbereitschaft Flüchtlingen gegenüber. Gesten des Willkommens und ehrenamtlicher Einsatz in Sprachkursen, Kleiderkammern, Sportangeboten oder Begegnungscafés können die Stimmung verändern und sich letztlich auf die Politik auswirken. Ebenso wichtig sind Demonstrationen gegen Ausländerfeindlichkeit, Leserbriefe, Unterschriftenaktionen und die Hilfe durch das Kirchenasyl.
Nein, wir müssen uns nicht auf die Position zurückziehen, die Matthias Claudius formulierte: Ich begehre, nicht schuld daran zu sein. Wir können etwas tun. In Gottes Namen. Gott sei Dank.