Ohne ihn wäre die Reformation vielleicht nicht möglich gewesen: Friedrich der Weise. Am 5. Mai ist der 500. Todestag des Kurfürsten von Sachsen (1463-1525). Der Historiker Armin Kohnle hat zum Jubiläumsjahr eine Biografie über Friedrich III. von Sachsen verfasst. „Friedrich hat Weltgeschichte geschrieben, ohne es zu wissen“, sagt der Professor für Kirchengeschichte an der Universität Leipzig im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
epd: Herr Kohnle, wie hat Friedrich der Weise Martin Luther unterstützt?
Armin Kohnle: Friedrich der Weise unterstützt Luther, indem er ihn nicht fallen lässt und ihn nicht ans Messer liefert. Zwar vollzieht er keine Handlungen, die die Reformation aktiv befördern, doch indem er alle Versuche, die Reformation zu unterdrücken, abwehrt, fördert er sie in gewisser Weise auch. Das haben ihm seine Gegner vorgeworfen: Du sagst immer, du machst nichts. Aber deine Passivität ermöglicht das Ganze ja erst.
Zudem macht Friedrich III. nichts, was ihn selbst in die Schusslinie bringen könnte. Er trifft sich nicht mit Luther, er schreibt nicht an Luther. Er sagt, das Evangelium muss sich seinen Weg schon selbst bahnen. Die Reformation wäre ohne ihn nicht so verlaufen. Friedrich hat Weltgeschichte geschrieben, ohne es zu wissen. Er konnte die Folgen nicht kennen.
epd: Auf kursächsischem Boden hatte die vom Kaiser verhängte Reichsacht gegen Luther, das sogenannte Wormser Edikt, keine Auswirkung. Stattdessen wurde Luther durch eine fingierte Entführung auf die Wartburg in Sicherheit gebracht. Wie sehr war Friedrich involviert?
Kohnle: Es gibt keinerlei Quellen, die uns Auskunft darüber geben, wie die Entscheidung zustande kam. Es gab Dinge, die Friedrich absichtlich nicht schriftlich festgehalten hat und dazu gehört auch Luthers Verbringung auf die Wartburg. Deswegen kann man nur spekulieren. Dass das gegen den Willen Friedrichs des Weisen geschehen ist, ist völlig ausgeschlossen. Vermutlich hat er seinen Leuten, die er um sich hatte, gesagt: „Kümmert euch mal darum, dass dem Luther nichts passiert, mehr will ich nicht wissen.“ Doch er wusste natürlich, dass Luther auf der Wartburg war.
epd: Warum hat er diese Lutherschutzpolitik betrieben? Häufig ist von machtpolitischen Gründen die Rede.
Kohnle: Bei Politikern ist es generell so, dass sie meist mehr als ein Motiv haben. Auch bei Friedrich dem Weisen ist die Motivlage komplex. Natürlich gibt es äußere Gründe. Er will Schaden von seiner Universität in Wittenberg abwenden. Martin Luther ist ein Star in Wittenberg. Er hat diese junge Universität bekannt gemacht und zieht Studenten an. Das will Friedrich nicht aufs Spiel setzen, indem er Luther ans Messer liefert.
Doch man muss vor allem Friedrichs Frömmigkeitsmotive ernst nehmen. Er gilt auch unter den damaligen Verhältnissen als besonders ernsthafter, bibelfrommer Christ. Meine These lautet: Wäre er das nicht gewesen, wäre seine Lutherschutzpolitik ganz anders verlaufen. Als spätmittelalterlicher Musterchrist findet er sich bei Luther wieder. Friedrich ist sich nicht sicher, ob nicht Luther tatsächlich recht hat und das Evangelium predigt. Es hat niemanden gegeben, der Luther widerlegt hat und solange das nicht geschehen ist, sieht Friedrich auch keinen Grund, ihn auszuliefern. Der Kurfürst wollte nicht schuld sein, dem Evangelium etwas in den Weg gestellt zu haben.
epd: Was für ein Kurfürst war Friedrich der Weise?
Kohnle: Friedrich der Weise agierte in seiner Verantwortung vor Gott und für die Menschen in seinem Kurfürstentum. Er sah seine Aufgabe darin, dass es in seinem Kurfürstentum keine Unordnung gibt, keine Gewalttaten. Er versteht sich nicht als Befehlsempfänger des Kaisers. Er wusste, dass er als Kurfürst Luther nur schützen kann, wenn er selbst nicht unter die Räder kommt. Deswegen ist er sehr vorsichtig, sich bloß nicht zu exponieren. Diese Politik ist weise, daher hat er seinen Beinamen. Das ist die Voraussetzung für den Erfolg dieser Lutherschutzpolitik. Im Grunde isoliert er sich zunächst gegenüber dem Kaiser und auch seinen Standesgenossen gegenüber, die ja keineswegs in diesen Jahren schon auf der Seite Luthers standen. Was aus ihm wird und welche Konsequenzen das für ihn selbst haben wird, das kann er ja nicht wissen. Er geht dieses enorme Risiko ein, weil er davon überzeugt ist.
epd: Was kann uns das für die Gegenwart sagen?
Kohnle: Friedrich handelt aus Überzeugung und bleibt bei seiner Linie. Wenn er von einer Sache überzeugt ist, dann lässt er sich das nicht einfach ausreden oder knickt vor dem Druck ein. Da ist er ganz anders als die heutigen Politiker. Das hat mich immer beeindruckt an ihm, dass er nicht das berühmte ‘Fähnchen im Wind’ ist oder das Schilfrohr, das sich je nach Brise hin und her bewegt. Er ist einer, der sich nicht beschwatzen lässt. Auch was Friedrichs diplomatische Kunst angeht, könnten sich manche Politiker von heute eine Scheibe abschneiden. Das war ein Minenfeld, auf dem sich Friedrich bewegte und das machte er mit großer Geschicklichkeit, denn „weise“ heißt er nicht, weil er so gebildet gewesen wäre, sondern weil er eine kluge Politik betreibt, klug im Sinne des Evangeliums.
epd: Wie war das Verhältnis zwischen Friedrich und Luther?
Kohnle: Friedrich erlebt Luther zweimal in der Reichsversammlung, als er dort auftritt. Sonst gab es keine persönlichen Begegnungen. Doch Luther kritisiert Friedrich für dessen Reliquiensammeln. Er hat sie jahrelang in ganz Europa angekauft und zusammengebettelt. Und damit hört er auf. Er kauft nicht nur keine neuen Reliquien, er will sie sogar loswerden. Und er beendet die Reliquienweisung mit der Ablassverkündigung, das ist die feierliche Zurschaustellung der Reliquien. Die Entwicklung hat natürlich mit Luthers Kritik zu tun.
Friedrich war selbst kein Theologe, aber wusste, dass Theologie wichtig ist. Das müssen wir auch unseren Zeitgenossen sagen: Ohne Theologie gehen wir in die Irre. Sie ist wichtig als Orientierung und Richtung, die man einschlägt. Friedrich hört auf Theologen wie Luther, dort wo sie Theologen sind. Er hört nicht auf sie, wo sie anfangen wollen, Politik zu machen. Denn Politik ist seine Sache.
epd: Welche Konfession hatte Friedrich der Weise am Ende seines Lebens?
Kohnle: Hier ist eine deutliche Entwicklung zu sehen, auch was seine Frömmigkeit angeht. Friedrich bewegt sich Stück um Stück auf Luther zu und am Ende seines Lebens ist er meines Erachtens doch so weit, dass er sagt: Der Luther hat recht und seine Lehre entspricht der evangelischen Wahrheit. Das kann man an vielen Kleinigkeiten ablesen, zum Beispiel, wie er sich zu den Frömmigkeitsformen, die er bisher gepflegt hatte, also zum Heiltum und zum Ablass, verhält. Er distanziert sich nach und nach von diesen spätmittelalterlichen Formen und übernimmt evangelische Grundsätze.