Artikel teilen:

Kardinal Barbarin – Wie Phoenix aus der Asche im Konklave

Eigentlich war er seit Jahren in der Versenkung verschwunden, hatte sich aufs Land zurückgezogen nach langen Prozessen um angebliche Missbrauchsvertuschung. Doch zur Papstwahl ist Kardinal Barbarin plötzlich wieder da.

Die “Affäre Preynat” hatte die Kirche in Frankreich erschüttert und den Lyoner Kardinal Philippe Barbarin (74) sein Amt gekostet. Sie wurde zum Symbol für das Missmanagement der Missbrauchsskandale durch Kirchenführer. Im März 2019 wurde Barbarin wegen Nichtanzeige eines Missbrauchspriesters schuldig gesprochen und zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, später aber vom Berufungsgericht freigesprochen. Dennoch verzichtete Barbarin im März 2020 auf das Amt des Erzbischofs von Lyon und zog sich aufs Land zurück.

Doch nun ist er wieder da: Zur Papstwahl in Rom trat er an – und sparte im Gespräch mit Journalisten nicht mit Kritik und Plaudereien. Fast scheint es, als sei es Barbarin zuletzt zu ruhig geworden in seinem Exil. Jedenfalls diktierte er einem Journalisten des skandalträchtigen Magazins “Paris Match” im sogenannten Vorkonklave einige Sätze in den Block, die so unter Amtsbrüdern eher ungewöhnlich sind.

So wird der frühere Primas von Lyon mit den Worten zitiert, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin – die Nummer zwei des Vatikans und einer der hoch gehandelten Kandidaten vor dem Konklave – sei zwar kompetent; doch er habe “nicht das Format, das man im Idealfall von einem Staatssekretär und erst recht von einem Papst erwarten würde”. Die Effizienz der vatikanischen Verwaltung sei schon nicht optimal gewesen, meinte Barbarin. Und außerdem brauche es für das Papstamt einen Seelsorger für die Weltkirche – mehr, als der Verwaltungsmann Parolin es sei.

Und Barbarin – der Mann, der aus der Tiefe kam – plauderte auch über seinen französischen Mitbruder aus Marseille, Jean-Marc Aveline, einen weiteren Kandidaten und Franziskus-Vertrauten. Der sei “sicher eine Persönlichkeit von hoher Qualität”. Allerdings habe er den Namen in seinen jetzigen Gesprächen in Rom nicht sonderlich häufig gehört. Ohnehin hätten es Franzosen schwer bei der Papstwahl; aber wenn, dann brauche es “mehr internationale Statur”.

Als Profil für den künftigen Papst formulierte Barbarin: Einen echten Seelsorger und einen sattelfesten Theologen brauche es; jünger als 70 Jahre, um die großen Herausforderungen der Kirche angehen und ein Programm längerfristig umsetzen zu können. Als Ideal für die Wähler gab er Johannes Paul II. (1978-2005) aus: einen Glaubenslehrer und Hirten, der unermüdlich die Kirchen vor Ort besucht habe.

Nicht dass ein Kardinal so etwas nicht vor dem Konklave sagen dürfte – wo ja dann bekanntlich jeder Kontakt zur Außenwelt untersagt ist. Aber es kann schon verwundern, wenn sich jemand so weit vors Häuschen traut, der in früheren Jahren schmerzlich erfahren hat, dass man Worte, die einmal ausgesprochen sind, nicht mehr einfangen kann.

2019 sorgte der Spielfilm “Grace à Dieu” (Gelobt sei Gott) von Regisseur François Ozon für Furore. Das Drama thematisiert das Schicksal dreier Männer, die als jugendliche Pfadfinder von dem 2024 gestorbenen Priester Bernard Preynat missbraucht wurden. Der Titel des Films spielt auf einen Ausruf Kardinal Barbarins an, der sich einst erleichtert zeigte, weil der Großteil der Missbrauchsfälle in der Zwischenzeit verjährt war.

Im Prozess von 2019 sagten mehrere Opfer Preynats aus. Auch Barbarin sprach lange im Zeugenstand. “Ehrlich gesagt sehe ich nicht, wessen ich schuldig bin”, sagte er während des Prozesses. Er habe damals nicht vermutet, dass er sich an die Justiz wenden müsse, “da die Fälle verjährt waren und das Opfer selbst bestätigt hat, dass es nichts mehr ändern könne”. Im März 2019 sprachen die Richter Barbarin schuldig. Und bald darauf hob Papst Franziskus die kirchenrechtliche Verjährung für Missbrauchsfälle auf.