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Kann Gott „queer“ sein?

Professorin Ulrike E. Auga ist seit einem Jahr Studienleiterin für geschlechterbewusste Theologien beim Amt für kirchliche Dienste (AKD). Ihre Aufgabe ist es, das Fernstudium der EKD zu revolutionieren. Wie macht sie das? Und warum ist das für das Verständnis von Gott und Kirche wichtig?

Frau Auga, was vermittelt geschlechter­bewusste Theologie?

Geschlechterbewusste Theologie vermittelt nicht nur in einem Dialog zwischen Frauen und Männern, sondern thematisiert Geschlecht in seiner Bandbreite. Es geht nicht nur um Genderrollen, die oft binär männlich und weiblich gedacht bleiben und stereotype Vorurteile wiederholen. Geschlechterbewusste Theologie legt verdrängte Dimensionen von Geschlecht offen. So wird der Blick auf Geschlecht als grundsätzliches Strukturprinzip der Gesellschaft ­gelenkt. Aus der Geschlechterfrage wird die Frage: „Was ist Geschlecht?“ Die ­Biologie und Kulturtheorie gehen heute von einer Vielzahl und Fluidität von Geschlecht aus. Es gibt kein bio­logisch vorgeordnetes Geschlecht, sondern dieses ist immer auch kulturell geschaffen. 

Warum ist das Thema heutzutage wichtig?

Die rechtsradikale Alternative für Deutschland (AfD) behauptet, die Geschlechterforschung würde die vermeintlich natürliche und Gott ­gewollte heterosexuelle Ordnung stören. Die Bundesvereinigung der Christen in der AfD erklärte gegen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 2018 über die Ein­tragung eines „dritten Geschlechts“ im Geburtenregister: „Gottes Schöpfungsordnung sieht genau zwei Geschlechter vor: Mann und Frau. Und beide lassen sich anhand anatomischer Merkmale in der Regel sehr genau unterscheiden.“ Eine vermeintlich „natürliche“ hierarchische Geschlechterordnung steht im Zentrum nationalistischer Vorstellungen. Es ist ein erschütternder Vorgang, dass die Rechte sich auf vermeintliche Aussagen der biblischen Schriften bezieht. 

Was unterscheidet, was verbindet feministische und geschlechterbewusste Theologien? 

Es gibt eine Vielzahl feministischer und geschlechterbewusster Theologien. Vereinfacht können wir zwischen differenzfeministischen und dekonstruktivistischen feministischen Ansätzen unterscheiden, die sich in den Theologien widerspiegeln. Dekonstruktion ist eine Methode, die grundlegende Festsetzungen, also Normativität, infrage stellt. Der Differenzfeminismus überwindet die Teilung Mann versus Frau nicht. Mit dem Ausspruch, man werde nicht als Frau geboren, sondern dazu gemacht, kann die französische Schriftstellerin Simone de Beauvoir als Ahnin der Vorstellung einer soziokulturellen Herstellung von Geschlecht gelten. Wichtig ist auch die Gendertheorie der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler: Körper und Geschlecht sind in ihrem Sinne kulturelle Zuschreibungen. Die Antirassismus-Forschung weist darauf hin, dass „Geschlecht“ in Überkreuzung mit konstruierten, naturalisierten Vorstellungen von „Nation“, „Rasse“, „Klasse“, „Religion“ untersucht werden müsse. Kritische Männertheologie und schwule Theologie betrachten Männer und Männlichkeiten als historisch, kulturell und sozial variierende und konstruierte Subjekte. 

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Die Fragen stellte Ulrike Mattern.

UIrike E. Auga ist Professorin für Theologie und Geschlechterstudien und Studienleiterin beim Amt für kirchliche Dienste (AKD).