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Kann Geiz geil sein?

In den meisten Menschen steckt ein Schnäppchenjäger. Aber ist das gleich Geiz? Die zweite Todsünde? Warum ein Schnäppchen ein gutes Gefühl macht und der Slogan „Geiz ist geil“ die Eigenverantwortung der Menschen ernst nimmt.

Wer kann sich nicht an die Frauenstimme erinnern, die im TV und Radio potenziellen Kunden „Geiz ist geil!“ entgegenschmetterte. Die Werbung des Elektromarktes Saturn blieb auf jeden Fall im Ohr – wenn auch nicht immer mit positivem Beigeschmack. Der Macher der Werbung, Constantin Kaloff, findet Geiz völlig okay – im gesunden Maße:
Als ich in den frühen 2000er Jahren Kreativ-Geschäftsführer bei der Hamburger Werbeagentur „Jung von Matt“ war, erhielten wir eine Einladung des Handelsunternehmens Saturn, an dem Pitch um den Kommunikationsetat der Marke teilzunehmen. Ein Pitch (einer der Anglizismen, die unsere von amerikanischen Agenturriesen geprägte Branche benutzt) ist ein meist niedrig entlohnter Wettbewerbsprozess, in dem sich mehrere handverlesene Agenturen um einen später dann hoch dotierten Auftrag bemühen. Der Kern der Aufgabe war es, einen sogenannten Claim zu finden, einen markanten Spruch, der die Haltung oder die Positionierung von Saturn ausdrückt. Das Ziel war, Saturn gegenüber ihrem doppelt so großen Wettbewerber Mediamarkt als ebenbürtig zu profilieren.

Auf der Suche nach einem markanten Spruch

Keine einfache Aufgabe, denn die Zeit war knapp und die Herausforderung groß. Schließlich brillierte Mediamarkt schon seit Jahren mit dem Spruch „Ich bin doch nicht blöd“. Wir beauftragten drei bis vier Texter aus unseren eigenen Reihen. Ich selbst setzte mich auch an den Computer, ich bin von Haus aus ebenfalls Texter und wollte meinen Beitrag leisten. Das Ergebnis waren 16 Seiten mit Vorschlägen für den neuen Saturn-Claim. Jean-Remy von Matt, der Kopf der Agentur und bekannt für sein kreatives Gespür, fand auf Seite 8 meiner Ideen den Satz: „Saturn. Auch Geiz kann geil sein.“ Das haben wir dann in einem gemeinsamen Meeting zu dem berühmt-berüchtigten Satz verdichtet: „Saturn. Geiz ist geil.“

So viel zur Entstehungsgeschichte des Satzes. Auch wenn Geiz in der christlichen Tradition eine Todsünde ist – in der Welt der Handels-Kommunikation ist der Tabubruch in Wort und Bild schon lange üblich. Marken wie Sixt, Mediamarkt, Hornbach, Edeka, Lidl – sie alle nutzen skandalträchtige Ideen, um ihre skandalös günstigen Angebote zu bewerben.
Aber die eigentliche Frage ist ja: Darf man eine der sieben Todsünden quasi heiligsprechen, ohne sofort in der Hölle zu landen? Verführt man damit nicht unschuldige Konsumenten zu unreflektiertem, blindem Konsum?

Meine Antwort: Ja, man darf. Beziehungsweise Saturn durfte, sozusagen zweckgebunden. Die Marke wie auch die Agentur „Jung von Matt“ gingen von einer Prämisse aus: Menschen sind keine Schafe. Menschen sind klug genug zu verstehen, was es bedeutet, wenn „Geiz ist geil!“ über einer Marken-Waschmaschine für 399 Euro steht – nämlich, dass dies ein sehr günstiges Angebot ist, über das man sich mit Leib und Seele freuen kann. Menschen sind aufgeklärt genug zu entscheiden, ob sie so ein Angebot annehmen wollen oder nicht. Menschen werden nicht ernsthaft geiziger, weil ein Handelsriese es ihnen aufträgt.

„Geiz ist geil!“ ist eine kreative Übertreibung des Satzes „Sparen macht Spaß“, der ja vergleichsweise schlapp ist. Die Menschen verstanden, was diese kreative Übertreibung wollte. Das war erfreulich. Dass wir Anfang der 2000er an der Schwelle einer von Fanatismus, Radikalismus, reaktionären Werten und Ignoranz geprägten Zeit standen, die uns in Hinsicht unserer Werte noch viel mehr abverlangen würde, war weniger erfreulich.

Meiner Ansicht nach ist eine Portion Zweck-Geiz hier und da durchaus angebracht. Wer beim Einkauf gar nicht auf den Preis schaut, ist dann doch einfach blöd. Immer mehr Menschen sind zum Zweck-Geiz gezwungen, weil sie knapp über oder unter der Armutsgrenze leben. Oder sie kommen aus Regionen, in denen der Kampf gegen den Hunger ganz oben auf der Tagesordnung steht. Was mich zu der schönen Schwester des hässlichen Geizes bringt, der Großzügigkeit und Güte.

Richtig gütig zu sein ist nicht einfach. Gebe ich dem Bettler an der Ampel Geld, dem mit den schauderhaft verkrüppelten Beinen? Oder unterstütze ich damit eine internationale Bande, eine regelrechte Bettelmafia? Was ist mit dem jungen Mann, der nahezu jeden Tag vor meiner Bankfiliale sitzt und um Geld für etwas zu essen bittet? Spende ich wirklich Geld für seine Pizza oder für den nächsten Flachmann, wahrscheinlich einer von vielen? Und wenn ich ihnen einen Euro gebe, warum dann nicht gleich fünf? Oder 50? Sollte Güte Grenzen haben und wenn ja, wer darf sie setzen? Der Staat? Die Kirche? Mein Konto? Mein Gefühl? Wirft ganz schön viele Fragen auf, die gute Güte.

Als ich damals vor meiner Tastatur saß und über die Aufgabe von Saturn nachdachte, versuchte ich, ein Gefühl zu beschreiben, das mich immer überkommt, wenn ich ein Schnäppchen mache: dem Schicksal ein Schnippchen geschlagen zu haben, das eigentlich einen Reicheren als mich als Käufer vorgesehen hatte. Ein gutes Gefühl.
Aber: Es ist nicht ansatzweise zu vergleichen mit dem Gefühl, etwas Gutes getan und jemandem selbstlos etwas gegeben zu haben. Auch wenn er zweifelhafter Herkunft ist oder das Opfer einer Sucht. Das Schicksal hatte Schlechtes mit ihm vor und ich habe ihm wieder ein Schnippchen geschlagen – ein viel besseres Gefühl.
So gesehen mag Geiz manchmal geil sein. Aber Güte ist viel, viel geiler. Und zwar immer.