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Jeden Tag Ja zum neuen Leben

Ein Politiker als Mystiker? Für den schwedischen UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld war seine Arbeit nur als spiritueller Akt zu meistern.

Im UNO-Hauptgebäude in New York befindet sich ein Raum der Stille. Als der Schwede Dag Hammarskjöld Anfang April 1953 zum zweiten UNO-Generalsekretär ernannt wurde, betonte er in seiner ersten Rede, wie wichtig für ihn die Ethik in seinem politischen Handeln sei, ganz im Sinne von Albert Schweitzers „Ehrfurcht vor dem Leben“.
Weil er als politische Lichtgestalt des 20. Jahrhunderts bald entdeckte, dass das Amt eines UNO-Generalsekretärs eine totale Überforderung ist, gestaltete er als politisch-spirituellen Akt einen Raum der Leere, in dem Menschen aller Religionen sich sammeln können. Damit zeigte er öffentlich, wo auch er immer wieder Kraft schöpfen würde.

Ethik in der Nachfolge Albert Schweitzers

Angesichts der weltweiten Krisenherde – in seiner Amtszeit waren es das Pulverfass Naher Osten, der Koreakrieg, der Volksaufstand in Ungarn, der Laoskonflikt und die Kongokrise – war er Tag und Nacht gefordert. Es war die Zeit des Kalten Kriegs und Dag Hammarskjöld spürte als sensibler und hochbegabter Politiker sehr schnell, dass er nur im Dienst der Weltgemeinschaft sein konnte, wenn er Distanz schuf, um das Leben in einem größeren Ganzen zu sehen.

Dag ist am 29. Juli 1905 in Jönköping/Südschweden als jüngster von vier Söhnen geboren. Sein Vater Hjalmar war politisch aktiv als Gouverneur, Verteidigungs- und Premierminister. Seine Mutter Agnes brachte das Künstlerische in die Familie, die Liebe zur Kultur und zum Religiösen. Der lutherische Theologe und Erzbischof von Uppsala, Nathan Söderblom, der sich sehr für die Ökumene einsetzte, war ein Vertrauter der Familie.

Hammarskjöld studierte in Uppsala und Cambridge Nationalökonomie, Philosophie, Französisch und Jura. Schon seit seinem 25. Lebensjahr war er politisch aktiv, 1935 wurde er zum Sekretär der Reichsbank berufen, danach war er Staatssekretär im Finanzministerium, bevor seine Arbeit in der internationalen Politik begann. All seine vielfältigen Erfahrungen konnte er als UNO-Generalsekretär verwirklichen: Kluge Diplomatie und beharrliche Geduld in den harten politischen Auseinandersetzungen und eine Liebe zu Literatur, Kunst, Theater und Musik.

Exemplarisch ist auch seine jesuanische Achtsamkeit den Schwachen und Kleinen gegenüber, die sich für ihn konkret in der Unterstützung der afrikanischen Völker ausdrückte, was ihm mit größter Wahrscheinlichkeit das Leben kostete: Der Flugzeugabsturz, der ihn am 17. September 1961 im heutigen Sambia das Leben kostete, war nach neuester Erkenntnis wohl doch eher ein Attentat als ein Unfall. Er ist im Alten Teil des Friedhofs in Uppsala beerdigt. Posthum erhielt er am 10. Dezember 1961 den Friedensnobelpreis.

Nach seinem Tod fand man in seiner New Yorker Wohnung eine Mappe loser Blätter mit seinen tagebuchartigen Aufzeichnungen, ab dem Jahr 1925 bis kurz vor seinem Tod – zusammen mit einem undatierten Brief an seinen früheren Arbeitskollegen und späteren Botschafter Schwedens in London, Leif Belfrage.
Darin schreibt er seinem Freund, dass diese Notizen sein einzig richtiges „Profil“ zeigen und dass er berechtigt sei, sie zu veröffentlichen „als eine Art ,Weißbuch‘ meiner Verhandlungen mit mir selbst und mit Gott“.

Das Tagebuch besteht aus insgesamt etwa 650 meist kurzen Einträgen in verschiedenen literarischen Gattungen wie Metaphern, Aphorismen, Poesie und japanischer Haiku-Gedichtform. Sie werden bis heute immer wieder neu aufgelegt unter dem Titel „Zeichen am Weg – Vägmärken“ und lassen uns einen spirituell-wachen Menschen begegnen, der dank seines lebenslangen Dialogs mit der Bibel, Meister Eckhart, Rumi, Konfuzius, Johannes vom Kreuz, Martin Buber, Henri Bergson, Carl Gustav Jung, Henrik Ibsen, Blaise Pascal, Albert Camus, William Faulkner nach dem tieferen Sinn des Lebens sucht.

Hammarskjöld ringt immer wieder nach Sinn und versucht, jeden Tag neu Ja zu sagen zum Leben mit seiner ganzen Schönheit – Dag war ein leidenschaftlicher Wanderer – und seiner Grausamkeit. Berührend ist, dass seine ersten Einträge schon um das Frag-Würdige im Leben und auch um den Tod kreisen; 1925 schreibt er: „Immer ein Fragender, werde ich dort sein, wo das Leben verklingt, ein klar schlichter Ton im Schweigen … Morgen treffen wir uns, der Tod und ich.“

Schon früh mit dem Tod in Kontakt

Ab 1953 wird in seinem Tagebuch sichtbar, dass er immer mehr aus dem Urvertrauen leben und handeln möchte, Gott in sich zu erfahren. 1955 beschreibt er explizit sein mystisches Erlebnis: „Jederzeit hier und jetzt – in Freiheit, die Distanz ist, in Schweigen, das aus der Stille kommt. Jedoch – diese Freiheit ist eine Freiheit unter Tätigen, die Stille eine Stille zwischen Menschen.“

Wie bei allen mystischen Texten wird auch hier sichtbar, dass wir schon in diesem Leben Momente erfahren können, in denen wir voll da sind und ganz weg. Höchste selbstbewusste Präsenz im Hier und Jetzt, um selbstvergessen sich mit Hingabe für eine zärtlich-gerechtere Welt ein- und aussetzen zu können. Ein engagierter Weg, auf dem auch Verwundungen als Wachstumschance erfahren werden können: „Ja zu Gott: ja zum Schicksal und ja zu dir selbst. Wenn das Wirklichkeit wird, dann mag die Seele verwundet werden, aber sie hat die Kraft zu genesen.“

Dag Hammarskjöld spricht von einem „seelischen Kraftfeld“, das er jeden Tag betritt, um sich nicht im Himmelschreienden dieser Welt zu verlieren. Es bedeutet für ihn, einzutauchen in die Erinnerung, dass jetzt auf der ganzen Welt unendlich viele Menschen, jung und alt, sich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen.