Jair Bolsonaro hat in Rio öffentlichkeitswirksam Straffreiheit für wegen eines Putschversuchs verurteilte Anhänger gefordert. Zum Helden seiner Bewegung hat sich X-Eigner Elon Musk entwickelt.
“Das brasilianische Volk dankt Elon Musk” – dieser Satz war am Sonntag an der Copacabana auf vielen Transparenten zu lesen. Unter einer stechenden Sonne versammelten sich mehr als 30.000 Anhänger von Ex-Präsident Jair Messias Bolsonaro an Rios Traumstrand, um gegen angebliche Willkür der brasilianischen Justiz zu demonstrieren. Und sie kamen, um ihren neuen Helden Elon Musk zu feiern. Der Multimilliardär sei ebenfalls ein Opfer der voreingenommenen brasilianischen Justiz, die unliebsame Stimmen rücksichtslos zensiere. Genau wie die von Bolsonaro und seinen Anhängern.
Musk lieferte sich in den vergangenen Wochen einen heftigen Streit mit dem Obersten Richter Alexandre de Moraes. Der hatte die Sperrung von Nutzerkonten etlicher Bolsonaro-Anhänger auf Musks Plattform X angeordnet. Sie sollen in Zusammenhang mit der Planung eines Putsches in Brasilien stehen. Musk hinterfragte das Vorgehen; die Sperrungen verstoßen seiner Ansicht nach gegen das auch in der brasilianischen Verfassung garantierte Recht der freien Meinungsäußerung.
Der X-Chef warf Moraes Amtsmissbrauch vor, bezeichnete ihn gar als Diktator und rief zu seiner Absetzung auf. Er drohte, die gesperrten Nutzerkonten wieder freizuschalten und die kompromittierende Korrespondenz mit der brasilianischen Justiz zu veröffentlichen. Moraes leitete daraufhin Ermittlungen gegen den weltbekannten Tech-Unternehmer ein. Brasiliens Öffentlichkeit war gespalten: Manche sahen Brasiliens Souveränität durch Musk bedroht, andere feierten ihn als Freiheitskämpfer gegen ein politisch motiviertes Vorgehen der Justiz.
Der Streit kommt Bolsonaro gerade recht. Juristisch steht er mit dem Rücken zur Wand. Richter Moraes treibt die Ermittlungen zu Putschversuchen gegen den amtierenden Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva voran. Bolsonaro musste bereits im Februar seinen Reisepass abgeben. In der Folge verbrachte er einige Tage in der ungarischen Botschaft. Offenbar fürchtete er, verhaftet zu werden. Ende Februar forderte er vor rund 185.000 Anhängern in Sao Paulo eine Amnestie für die in den Sturm auf das Regierungsviertel in Brasilia am 8. Januar 2023 verwickelten Personen. Bisher wurden 196 Bolsonaro-Anhänger verurteilt.
In Rio wiederholte der Ex-Regierungschef nun die Forderung nach Straffreiheit – wohl nicht ganz uneigennützig. In dem Putschvorwurf sieht er die “größte Fake News der Geschichte”. Es gehe lediglich darum, ihn zum Schweigen zu bringen und politisch auszuschalten. Doch Videoaufzeichnungen und Dokumente sowie eine Kronzeugenaussage eines früheren Adjutanten legen nach Ansicht der Ermittler nahe, dass Bolsonaro mit Teilen des Militärs tatsächlich Putschvorbereitungen getroffen haben könnte.
Moraes ist schon seit Bolsonaros Amtsantritt 2019 dessen großer Widersacher. So hatte der Richter Ermittlungen wegen Verbreitung von “Fake News” durch das Bolsonaro-Lager bei den Wahlen 2018 eingeleitet. Schon damals rechtfertigte sich der Rechtspopulist mit dem Argument der freien Meinungsäußerung.
Vor den Wahlen Ende 2022 behauptete Bolsonaro dann, die Justiz manipuliere die Wahlen zugunsten seines Gegners Lula da Silva. Beweise legte er nicht vor. Moraes gehörte schließlich zu den Richtern des Obersten Wahlgerichts, die Bolsonaro 2023 wegen der Kampagne gegen das Wahlsystem verurteilten und ihm eine weitere Kandidatur in den nächsten acht Jahren untersagten.
Die Ermittlungen zur angeblichen Beteiligung an einem Putschversuch könnten dem Politiker nun gar eine langjährige Haftstrafe einbringen. So glaubt die Justiz, dass sich Bolsonaro Ende Dezember 2022, am letzten Tag seines Mandats, in den US-Bundesstaat Florida abgesetzt habe, um seine Verwicklung zu vertuschen. Nach Lulas knappem Wahlsieg hatten Tausende Bolsonaro-Anhänger über Wochen vor Kasernen kampiert und das Militär aufgefordert, Lulas Amtsantritt am 1. Januar 2023 zu verhindern. Am 8. Januar stürmten etliche von ihnen das Regierungsviertel in der Hauptstadt.
Laut den bisherigen Ermittlungsergebnissen sollte Lula damit in eine Falle gelockt werden: Er sollte den Notstand verhängen und das Militär zu Hilfe rufen, das dann die Macht übernommen hätte. Auch Richter Moraes wäre später verhaftet worden, heißt es. Doch Lula habe den Plan durchschaut. Wenige Stunden nach dem Eindringen der Protestler ins Regierungsviertel war die Lage mithilfe der Polizei wieder unter Kontrolle.
Bolsonaro hofft jetzt, dass Musk ihn aus den Fängen der Justiz befreit: Käme Richter Moraes zu Fall, etwa wegen einer Überschreitung seiner Kompetenzen, könnten die Putsch-Ermittlungen gestoppt werden.
Fraglich bleibt, was Musks Motive in der Angelegenheit sind. Es könnte ihm darum gehen, keinen Präzedenzfall für die Einmischung lokaler Gerichte in sein X-Geschäftsmodell zu schaffen, vermuten einige Experten. Unter Lula-Anhängern argwöhnt man dagegen, dass Musk sich weltweit auf die Seite von Rechtsaußen-Politikern stelle, was auch sein Engagement gegen eine Zensur des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump erkläre.