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„Irgendeiner musste es ja machen. Warum also nicht wir?“

Jugendliche und junge Erwachsene von der SozDia Stiftung und aus Berliner Kirchengemeinden packten als freiwillige Helfer*innen in den rheinischen Überschwemmungsgebieten mit an

Als die SozDia Stiftung Berlin zu Solidarität mit den von der Hochwasserkatastrophe Betroffenen aufrief, überlegten elf junge Menschen nicht lange. Sie reisten zusammen mit Mitarbeiter*innen der sozialdiakonischen Stiftung in den nordrhein-westfälischen Rhein-Sieg-Kreis. Mit Geldspenden aus zwei Friedrichshagener Kirchengemeinden konnten Hilfs- güter und Werkzeuge angeschafft werden. Unterstützung kam auch von der „Aktion Neue Nachbarn“, einem Projekt des Erzbistums Köln, und von katholischen Gemeinden vor Ort. 

Von Uli Schulte Döinghaus

Der schwere, klobige Vorschlaghammer schlägt hernieder, bricht Stück um Stück aus dem Estrich. Nächster Schlag. Mit Schwung lässt Wael Nomeiri (17) den Hammer auf den Kellerboden krachen. Später schippt er die Stücke in eine Schubkarre, die er vor dem Haus an einer mannshohen Müllhalde entleert. Damit wird er noch ein paar Stunden zu tun haben; den Keller beschreibt er als sehr, sehr groß. Kreuzschmerzen am Abend? „Ein bisschen“, sagt Wael.

Aus einem der benachbarten Einfamilienhäuser ist ein Bohrhammer zu hören. Den stemmt Morteza       Mohammadi (18) mit aller Kraft gegen den Wandputz, der nach und nach auf den Boden fällt. „Schwere Arbeit“ sagt Morteza später, aber lächelt dazu. „Bisschen Muskelkater in der Schulter.“ Das habe ihn aber nicht daran gehindert, abends in der Unterkunft Tischtennis zu spielen. Wael und Morteza sind zwei von elf Jugendlichen und jungen Erwachsenen, meist Männern, die vom 27. Juli bis 31. Juli in Odendorf, Essig und Heimerzheim waren. 

Lieber vor Ort mit anpacken als aus der Ferne zuzusehen

Die drei Dörfer im Rhein-Sieg-Kreis nahe Bonn waren vom Hochwasser betroffen, das sich Mitte Juli über Teile des Rheinlands und Belgien ergoss. Verwüstung und Leid brachte die Katastrophe, aber auch Solidarität und Hilfsbereitschaft. So auch aus dem entfernten Berlin-Lichtenberg. Dort gibt es die gemeinnützige SozDia Stiftung. Sie ist eine sozialdiakonische Trägerin von 50 Einrichtungen, die sich um Kinder-, Familien- und Gemeinwesenarbeit verdient machen, besonders aber auch um Jugendarbeit. 

Innerhalb weniger Tage organisierten Jugendliche aus diesen Projekten zusammen mit ihren Betreuern tätige Solidarität für rheinische Mitbürger, deren Häuser und Wohnungen stark beschädigt worden waren. Christinnen und Christen aus Jungen Gemeinden schlossen sich der SozDia-Initiative an. Das Motto: Wir fahren dorthin, packen mit an, wo wir gebraucht werden. Luisa Rehberg, Abiturientin aus Lichtenberg, sagt: „Ich wollte lieber vor Ort mit anpacken, als nur aus der Ferne zuzusehen.“

Gesagt getan. Schaufeln, Bautrockner und Stromaggregate, um die in den betroffenen Dörfern gebeten worden war, packten sie in einen SozDia-eigenen Transporter. Das Baugerät konnte noch schnell mit Spenden gekauft werden, das Christ*innen aus zwei Friedrichshagener Kirchengemeinden aufbrachten. Telefonketten, Whats-App-Gruppen, Facebook-Posts hatten für eine unkomplizierte Vernetzung gesorgt und dafür, dass sich die Aktion schnell herumsprach und Geld zusammenkam. Am frühen Dienstagmorgen machte sich das 19-köpfige Team in drei – erdgasbetriebenen – Autos und mit der Bahn auf den Weg nach Bonn, wo sie in einem katholischen Redemptoristenkloster kostenlos untergebracht und von den Mönchen willkommen geheißen wurden. 

Haushohe Müll- und Schutthalden 

Die Maloche begann morgens um 8 Uhr. „Wenn man sich von Bonn aus südwestlich den Dörfern nähert, wo wir eingesetzt waren, dann sieht man zunächst überraschend intakte Agrarflächen, aber dahinter haushohe Müll- und Schutthalden vor den Ortseingängen. Das war der erste Eindruck, den wir hatten“, sagt Marc Tschirley (34). Er arbeitet als Klimaschutzmanager bei der SozDia und begleitete mit weiteren sechs Kolleg*innen den Hilfseinsatz. Der nächste Eindruck: Vor den Einfamilienhäusern waren Schutthalden, zu denen immer und immer wieder neuer Unrat aus Kellern und Erdgeschossen gekarrt wurde. 

Zwar war die unmittelbare Flut längst vorbei, als die Berliner hier ankamen, dafür hatten trockene Tage Ende Juli gesorgt. „Aber wir konnten sofort sehen, dass noch unendlich viel Arbeit und Anpacken gebraucht wird“, sagt Kevin Wenske (21). Ein unscheinbares Gewässer namens Horbach hatte sich ausgebreitet und dafür gesorgt, dass  manche Häuser komplett abgerissen werden müssen, andere erheblichen Schaden genommen haben. Heute ist von dem Bächlein, das teilweise unterirdisch kanalisiert ist, fast gar nichts mehr zu sehen, von seinen Verheerungen umso mehr.

Die Lichtenberger wurden knapp und dankbar begrüßt und sofort um Mithilfe gebeten, unter anderem in den feuchten Kellern und Wohngeschossen. Schulter an Schulter mit den Hauseigentümern gingen sie daran, Putz von den Wänden und Estrich von den Böden zu schlagen. Das alles musste entfernt werden, um an die darunterliegende Nässe zu kommen, um Schwamm und weiteren Wasserschaden zu verhindern. Um die Häuser zu retten.

Statt Ferien bis zu acht Stunden Arbeit täglich

In den Dörfern, wo sie eingesetzt wurden, gab es zahlreiche Helferinnen und Helfer, nicht nur aus den benachbarten Regionen. Über einen tatkräftigen Rentner aus Berlin erzählen sie bewundernd, der schon seit mehreren Wochen hier angepackt hatte und seine Hilfsbereitschaft lakonisch so begründete: „Ich habe ja sonst nichts zu tun.“

Bis zu acht Stunden täglich verbrachte das Team damit, Feuchtigkeit in den Häusern aufzubrechen und Abraum wegzuschaffen. An Verpflegungspunkten, die auf den Marktplätzen eingerichtet worden waren, waren Helferinnen und Helfer, die unablässig Schnittchen schmierten und Suppen kochten. „Leckeres Essen. Es gab sogar vegan“, sagt Morteza. Der junge Afghane lebt erst seit kurzer Zeit im Interkulturellen Jugendwohnhaus von SozDia in Berlin. 

In Odendorf war er dabei, als die verwüstete Inneneinrichtung einer Gastwirtschaft ausgeräumt werden musste: Tische, Stühle, Hocker, Kühltheke, Geschirr. „Nichts war mehr zu gebrauchen“, sagt er, „was für ein Elend.“ Wie er hatten fast alle, die aus Berlin mitgereist waren, ihre Schul- oder Semesterferien unterbrochen. Andere wie Wael, der an einem Berufsorientierungsprojekt teilnimmt, um seinen Schulabschluss nachzuholen, nahmen ein paar Tage Urlaub. 

Ein einzigartiges Gemeinschaftserlebnis

Die Notgemeinschaft aus Dorfbewohnern und Helfer*innen hat sie alle sehr beeindruckt, es habe ein Zusammengehörigkeitsgefühl gegeben, das sie so noch nie erlebt hätten, erinnert sich Marc Tschirley. Dieses einzigartige Gemeinschaftserlebnis übertrug sich auch auf die Berliner aus  unterschiedlichen Projekten von SozDia und den Jungen Gemeinden, die sich vor dem Einsatz noch nicht kannten. Demnächst werden sie bei einem Grillabend wieder zusammenkommen. 

Sogar an eine Art Fortsetzung der Hilfsaktion im Rheinland wird schon gedacht. Denn nach wie vor werden Freiwillige in den Dörfern rund um Ahr und Erft gebraucht. Vermutlich werden dann auch wieder Morteza, Wael, Luisa, Marc und Kevin dabei sein. Sie eint mit vielen anderen Helfer*innen das gute Gefühl, dabei gewesen zu sein und tatkräftig Solidarität gezeigt zu haben – zum Beispiel mit einer alten Dorfbewohnerin, die aus Dankbarkeit geweint habe, sagt Morteza. Kurz, knapp, uneitel und selbstironisch fasst Kevin Wenske (21) zusammen, was ihn motiviert hat: „Im Zweifel helfe ich gerne. Irgendeiner muss es ja machen. Warum nicht ich?“

Weitere Informtionen unter: www.sozdia.de