Schon mit 17 verfasste sie erste Gedichte – für die Schublade. Denn der Dichterlorbeer war damals noch für Männer reserviert. Vor 250 Jahren, am 28. Februar 1775, wurde Sophie Tieck in Berlin geboren, als jüngere Schwester des romantischen Dichters Ludwig Tieck. Als die Geschwister 1795/96 in eine gemeinsame Sommerwohnung zogen, regte er sie zu acht satirischen Erzählungen an, die in Carl August Nicolais Reihe „Straußfedern“ anonym erschienen.
Von einem „geschwisterlichen Wettbewerb“ spricht Wolfgang Bunzel, Literaturprofessor und Leiter der Abteilung Romantik-Forschung im Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt am Main, wo neben dem Goethe- auch das Deutsche Romantik-Museum angesiedelt ist. Hier bereitet Bunzel gemeinsam mit dem Künstler Henrik Schrat eine Ausstellung über die vergessene Schriftstellerin vor. „Wunderbilder und Träume“ soll die Schau heißen, unter diesem Titel hatte Sophie Tieck 1802 ihre Märchen veröffentlicht.
Ihre beiden Brüder, auch der spätere Bildhauer Christian Friedrich Tieck, besuchten das renommierte Friedrichswerdersche Gymnasium in Berlin. Das blieb Sophie verschlossen. Sie wurde zur künftigen Ehefrau und Mutter erzogen. 1799 heiratete sie Ludwigs ehemaligen Lehrer und Freund August Ferdinand Bernhardi und wurde Mutter. Aber schon nach fünf Jahren trennten sich die Eheleute. Sophie hatte eine Affäre mit August Wilhelm Schlegel.
Sophie Tieck sei bereits als sehr junge Frau Teil der Berliner Frühromantik gewesen, mit philosophischen Fragmenten und Kunstmärchen, erklärt die Germanistin Christiane Holm, die sich als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Martin-Luther-Universität Halle um eine genderbewusste Neulektüre von Sophie Tieck bemüht. „Ebenso ungewöhnlich wie interessant ist ihr selbstverständliches Auftreten als Erwerbsschriftstellerin, die eine angemessene Entlohnung für ihre Arbeit fordert.“
In der Zeitschrift „Athenaeum“ veröffentlichte Sophie Tieck einen Aufsatz unter dem Titel „Lebensansicht“: „Liebe, die mit warmem Sonnenschein das arme Leben umgiebt, o warum ist dein Nahme jemals ausgesprochen, warum lebst du in Liedern, und wohnst nicht als allgemeine Poesie in jedes Menschen Busen? Warum springt der Mensch gewaltsam und eigenmächtig aus der Zeit heraus, die ihn umfängt?“
Von einer „Sprache voll von romantischem Übermut mit lakonischen Unterbrechungen bis in die Syntax hinein und en passant hingetupften metapoetischen Reflexionen“, spricht Holm. Sophie Tieck verfasste Dramen und bald auch ihren ersten Roman: „Julie St. Albain“, eine Auseinandersetzung mit bürgerlichen Tugenden und der freien romantischen Liebe.
Als sie 1805 mit ihrem Bruder Ludwig nach Rom reiste, lernte sie dort den estländischen Gutsbesitzer Baron Karl Gregor von Knorring kennen. 1807, im Jahr der offiziellen Scheidung von Bernhardi, reiste sie mit Knorring über München und Prag nach Wien. Geheiratet haben die beiden erst 1810, nachdem Sophie zum katholischen Glauben übergetreten war.
Ein Skandal, an dem der ganze romantische Freundeskreis teilnahm. „Sie hat gewiß herrliche Geistesanlagen; aber Leidenschaftlichkeit und Ehrgeiz haben, wie es mir scheint, ihre Seele sehr zerrüttet“, schrieb Friedrich Schlegel an Ludwig Tieck. In den 1820ern griff sie wieder zur Feder und bearbeitete den altfranzösischen höfischen Liebesroman „Floire et Blancheflor“.
1812 zogen die Eheleute auf das estnische Landgut Arroküll, 1820 kehrten sie nach Heidelberg zurück. Sophie traf ihren Bruder Ludwig ein letztes Mal, doch inzwischen waren sich beide fremd geworden. Dennoch gab Ludwig Tieck den umfangreichen Altersroman „Evremont“ nach dem Tod seiner Schwester heraus. Sie war nach der endgültigen Übersiedlung auf das Knorring’sche Familiengut Erwita am 12. Oktober 1833 in Reval gestorben.
Ein Wunsch wurde ihr nicht erfüllt: „dass mein Nahme in Deutschland genant wirde und mein Gedächtniß weder bei Freunden noch Feinden sich auslöschte.“ Christiane Holm erläutert, warum Sophie Tieck aus dem Kanon ausgeschlossen und fast vergessen wurde: „Das Fehlen bürgerlicher Mädchenbildung, ihr unsteter Lebenslauf, die Nähe zur Unterhaltungsliteratur.“ Bunzel meint: „Ihre unglückliche Ehe hat den Aufbau einer Autorenexistenz verhindert.“