An Pfingsten feiern Christen die Ausgießung des Heiligen Geistes. Das Fest gilt als Geburtstag der weltweiten Kirche – und zählt neben Ostern und Weihnachten zu den kirchlichen Hochfesten. Tobias Schuckert, Theologe und Missionswissenschaftler von der Internationalen Hochschule Liebenzell, sprach mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) über Gebet, wachsende Kirchen in Afrika und Lateinamerika sowie die Frage, wie politisch Kirche sein darf.
epd: Herr Professor Schuckert, Pfingsten gilt als Geburtstag der Kirche. Viel Grund zum Feiern haben die Kirchen in Deutschland und Europa nicht …
Tobias Schuckert: Doch! Wenn wir uns nur von äußeren Umständen leiten lassen, haben wir die biblische Botschaft nicht verstanden. Der Geist Gottes wirkt auch heute noch. Davon bin ich fest überzeugt. Darum: Danke für den Heiligen Geist. Danke für die Kirche. Danke dafür, dass Jesus treu ist. Wenn das kein Grund zum Feiern ist!
epd: Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) beklagte jüngst, dass die Kirchen sich zu häufig zu politischen Fragen äußern, anstatt bei ihrem Kerngeschäft, nämlich der Verkündigung des Evangeliums, zu bleiben.
Schuckert: Ich stimme ihr so weit zu, dass Kirchen sich mehr auf die Verkündigung, Seelsorge und Weitergabe des Glaubens konzentrieren sollten. Die Kirche muss neu damit anfangen, die Menschen überhaupt wieder zum Glauben an Jesus zu führen, sie muss „Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben“ wieder ins Zentrum ihrer Botschaft rücken. Dann wird etwas geschehen, das man schon seit der Zeit des Neuen Testaments beobachten kann: Mit der Konzentration auf die Frohe Botschaft von Jesus Christus wird die Kirche auch wieder zu einer prophetischen Stimme mit Gewicht in unserem Land werden.
Das Evangelium ist nicht in erster Linie eine politische Botschaft. Aber es hat sehr wohl immer auch eine politische Dimension. Wo und wann dieser Einspruch des Evangeliums angemessen ist, das ist im Protestantismus freilich sehr umstritten. Wenn Julia Klöckner sich gegen die Inflationierung dieser kritischen Dimension des Evangeliums im politischen Alltagsgeschäft wendet, hat sie meine Zustimmung.
epd: In Deutschland verlieren die beiden großen Kirchen jedes Jahr Mitglieder in der Größenordnung einer Stadt fast so groß wie Stuttgart. In Afrika und Asien hingegen boomen die Kirchen. Was läuft dort besser?
Schuckert: Nicht überall boomen die Kirchen in Asien und Afrika gleichermaßen. Ich denke da beispielsweise an Japan, wo die Zahl der Christen schon seit Jahrzehnten nicht über ein Prozent der Gesamtbevölkerung hinausgeht. Aber da, wo Kirchen wachsen, lässt sich ein Trend beobachten: Zum einen ist es eine Theologie, die sich an der Bibel orientiert und diese als Gottes Wort ernst nimmt. Zum anderen lässt sich beobachten, dass wachsende Kirchen in diesen Gegenden mit Gottes Wirken rechnen. Er ist kein philosophisches Konstrukt.
Wir müssen aber auch das andere sehen: Es gibt gerade in Afrika auch Länder mit einer überwiegend christlichen Bevölkerung, in denen sich das in der Gesellschaft oft nicht erkennbar auswirkt. Machtmissbrauch, Korruption, Bürgerkriege, sexueller Missbrauch und drakonische Strafen gegen Menschen, die anders als die Mehrheit leben wollen – das sind die Felder, auf denen die Früchte des Glaubens gerade in den „christlichen“ Staaten noch wachsen müssen.
epd: Was können die Kirchen hierzulande von ihren Geschwistern im globalen Süden lernen?
Schuckert: Wenn ich mich auf eine Sache festlegen müsste, würde ich sagen: das Gebet! Christen in Lateinamerika, Afrika und Asien rechnen damit, dass Gott auf ihr Gebet reagiert und handelt. Sie nehmen das als Realität in ihrem Leben wahr. Ich wünsche mir eine Kirche, die betet, die sich von Gottes Wort inspirieren lässt und dann das Evangelium lebt: nicht nur in den Kirchengebäuden und während kirchlicher Veranstaltungen. Ich wünsche mir Kirchenmitglieder, die wieder neu das Beten entdecken, in den Familien, am Arbeitsplatz, in Politik und Gesellschaft.
epd: Zu Geburtstagen darf man sich etwas wünschen. Was wünschen Sie sich zu Pfingsten für die Kirchen hierzulande?
Schuckert: Ich wünsche den Kirchen ein Jahrzehnt der Jugendevangelisation; dass Kirchen zehn Jahre lang bei all ihren finanziellen, personellen, politischen und strukturellen Entscheidungen sich fragen: „Wie müssen wir entscheiden, dass dadurch Menschen in Deutschland zum Glauben an Jesus Christus kommen?“ Ich wünsche mir, dass die nächste Generation die Schönheit des Glaubens neu entdeckt. Was könnte aus Deutschland werden, wenn das geschehen würde! (1298/03.06.2025)