Artikel teilen:

“Ich muss erstmal erkennen, dass ich bestimmte Macken habe”

Die evangelische Theologin und Traumatherapeutin Mari Böhrk-Martin (70) aus Lübeck hat dazu ermuntert, sich mit den Kriegserfahrungen der eigenen Vorfahren und mit den eigenen Macken zu beschäftigen. Das sei wichtig, um die unbewusste Traumaweitergabe in der Familie zu durchbrechen, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd) in einem Interview. „Ich muss erstmal erkennen und akzeptieren, dass ich bestimmte Macken habe, beispielsweise ein diffuses Selbstbild, Beziehungsschwierigkeiten oder schon 22 mal umgezogen bin und nirgendwo richtig ankomme“, sagte sie. Hinter diese Macken zu schauen, dabei könne das Lesen hilfreich sein. Es gebe unglaublich viel Literatur dazu.

„Der zweite Schritt ist, zu schauen, was mit meinen Vorfahren war. Was haben die während des Krieges gemacht? Gehörten sie zu den Mitläufern, zu den Naziverbrechern oder einfach zu den Zuschauern? Das ist wichtig für die Verarbeitung von eigenen Emotionen und vor allem von der ungeliebten Trauer“, sagte die Pastoralpsychologin.

Um Lebenskraft und Selbstbestimmung zu gewinnen, könne es helfen, „nicht mit dem Schicksal zu hadern und endlich mit den Scham- und Schuldgefühlen aufzuhören. Die Kriegskinder und -enkel waren nicht schuld an diesem verdammten Krieg. Aber wir tragen die Verantwortung dafür, dass so etwas nicht noch mal passiert.“

Zudem könne man tun, „was heute jeder psychologische Ratgeber empfiehlt: Aufmerksamkeit für sich selbst, sich selber Gutes tun. Geduldig und gewährend mit sich zu sein. Freundlich.“

Mari Böhrk-Martin, die 25 Jahre die pastorale Leitung der Telefonseelsorge Lübeck innehatte, macht Seminare und Workshops, auch zur transgenerationalen Weitergabe von Traumata. Am 1. April wird sie an der Volkshochschule Rostock einen Kurs geben zum Thema „Kriegsspuren in der Seele? ‘Kriegsenkel’ und ihre Suche nach Selbstbestimmung und Lebenskraft“.