Thomas Middelhoff war einst ein gefeierter Wirtschaftsmanager. Wegen Untreue und Steuerhinterziehung wurde er zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt. Im Gefängnis wandte er sich Gott zu. Über Schuld und Sühne sprach mit ihm Karsten Huhn.
Herr Middelhoff, über Ihre Haftstrafe sagen Sie: „Ich danke Gott, dass er mich ins Gefängnis geführt hat.“ Wie kamen Sie zu dieser Haltung?
Als Manager war ich stark auf wirtschaftliche Ziele ausgerichtet, also auf Wachstum von Umsatz und Gewinn. Ich war wirtschaftlich erfolgreich, begann aber, mich selbst immer stärker zu verlieren.
2014 wurden Sie wegen Untreue in 27 Fällen und Steuerhinterziehung in drei Fällen zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
Juristisch halte ich das Urteil für fragwürdig. Aus den 27 Fällen ragt ein Fall heraus: Es ging um 980 Exemplare einer Festschrift, die ich für 180 000 Euro hatte fertigen lassen. 35 000 Euro hatte ich davon privat bezahlt, den anderen Teil übernahm Arcandor. Das Gericht war der Auffassung, dass die Exemplare ein persönliches Geschenk von mir gewesen seien, die ich nicht der Firma hätte in Rechnung stellen dürfen. Dafür habe ich zwei Jahre und sieben Monate bekommen.
Wenn ein Angestellter sein Unternehmen um eine solche Summe schädigt, würde er fristlos gefeuert.
Mit der Festschrift habe ich den Konzern nicht geschädigt. Es handelte sich um eine Imagebroschüre. Ich konnte über solche Summen frei verfügen, ich hatte über 500 Millionen Euro Zeichnungsberechtigung. Ich hätte einfach meine Vorstandskollegen fragen sollen und die Entscheidung ins Vorstandsprotokoll nehmen lassen. Das hätte mir das Gefängnis erspart. Warum habe ich es nicht getan? Weil ich so arrogant war, dass ich keinen um Rat gefragt habe.
Sie bezeichnen sich rückblickend als „arrogantes Arschloch“.
Ich war sehr erfolgreich. Ich war der Meinung, dass mir bestimmte Dinge zustehen. Ich entschied oft allein, weil ich überzeugt war, dass ich selbst am besten weiß, was richtig ist. Ich war überzeugt davon, dass ich Anspruch auf besondere Privilegien habe. Das Risiko ist, dass man sich dann nicht mehr sozialkonform verhält.
Sie haben das Geld mit vollen Händen ausgegeben. Sie sind mit dem Helikopter vom Wohnort Bielefeld zur Firmenzentrale in Essen geflogen – in einer kriselnden Firma, in der gespart werden musste und in der Massenentlassungen anstanden.
Zeit ist für Manager knapp. Ist der Firma geholfen, wenn ich im Auto stundenlang im Stau sitze oder wenn ich pünktlich in der Firma bin und aktiv arbeiten kann? Als ich noch für Bertelsmann tätig war, bin ich häufig nach New York geflogen. Es kam vor, dass ich am selben Tag die Vorstandssitzung in Gütersloh und New York geleitet habe – weil ich die Concorde genommen habe.
Warum war der Gefängnisaufenthalt dann ein Segen für Sie?
Ich habe Todsünden begangen, die zu einer schleichenden Vergiftung meiner selbst geführt haben.
Todsünden?
Meine erste Todsünde war der Hochmut. Dazu gehören Arroganz, Eitelkeit, Narzissmus, das „Ich bin wichtig“-Prinzip. Meine andere Todsünde – für viele Top-Manager typisch – war die Gier. Bei mir war es die Gier, Steuern zu sparen. Als ich bei Bertelsmann meinen Bonus von 100 Millionen D-Mark bekam, dachte ich, ich sei der „Master of the universe“. Ich wollte es möglichst steuerfrei haben und legte es in einem Offenen Immobilienfonds an. Das war mein wirtschaftlicher Untergang. Dabei hat Geld für mich eigentlich nie eine Rolle gespielt.
Weil Sie so viel davon hatten?
Nein. Wichtig war etwas anderes: Dass ich mehr verdiene als andere. Wenn ich im Jahr 500 000 Euro verdient hätte, alle anderen aber 250 000 Euro, wäre das für mich okay gewesen. Zum Beispiel kaufte ich mir eine mehrere Millionen Euro teure Yacht. Dann war ich einmal drauf gegangen und war ratlos. Ich war rastlos und konnte die Yacht nicht genießen.
Ihrer Autobiographie „A115 – Der Sturz“ haben Sie das Bibelwort aus Hiob 1,21 vorangestellt: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen; der Name des Herrn sei gelobt.“
Ich finde mich in diesem Vers wieder. Materiell hatte ich alles, und mir wurde alles genommen. Meine Reputation, meine Gesundheit und meine Ehe. Ich lebe inzwischen – durch mein eigenes Verschulden – in Scheidung. Gott sei Dank sind mir aber meine Talente geblieben. Diese möchte ich heute für andere einsetzen. Bei Hiob heißt es ja auch: „Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren.“ Auch wenn ich alles verloren habe, fehlt mir heute gar nichts. Ich danke Gott für die Gnade, dass er mir die Augen geöffnet hat.
Wofür?
Mir war immer wichtig, was andere über mich denken. Das ist aber gar nicht entscheidend. Entscheidend ist, was Gott, der über allem steht, über mich denkt.
Es gibt Menschen, die Ihnen das Büßergewand nicht abnehmen.
Ich laufe nicht im Büßergewand rum, sondern ich bereue. Und ich vergebe mir nicht selbst – mir kann nur Gott vergeben.
Im Gefängnis haben Sie angefangen, in der Bibel zu lesen.
Schon bald durfte ich keinen Freigang mehr machen, weil meine Sicherheit nicht mehr gewährleistet war. Meine Frau wurde erpresst und ich aufgefordert, Schutzgeld zu zahlen. Dazu kam: Bei mir wurden ständig Sicherheitskontrollen durchgeführt, so dass ich kaum schlafen konnte. Sechs Wochen lang wurde in meiner Zelle alle 15 Minuten das Licht angemacht, um zu kontrollieren, ob ich noch am Leben war. Ich war viel allein und dachte über mein Leben nach.
Ich dachte mir: Du bist Katholik, hast aber noch nie das Alte Testament gelesen. Ich stellte den Antrag, eine Bibel lesen zu dürfen. Ich saß an meinem kleinen Holztisch und begann zu lesen. Ich begann, regelmäßig zu beten, und ich bekam das Bedürfnis, zur Beichte zu gehen. Ich hatte viel zu beichten.
Als Freigänger arbeiteten Sie dann in den von Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel. Warum?
Auf Bethel bin ich gekommen, weil dort die jüngere Schwester meiner Frau lebt. In Bethel lernte ich, was Freude ist und wie viel es einem selbst geben kann, wenn man einem behinderten Menschen Liebe, Zuneigung und Wärme gibt. Man bekommt so viel zurück, wie man es sich gar nicht vorstellen kann. Mein Glück war jedenfalls deutlich größer, als mich in Bethel ein autistischer Jugendlicher umarmte, als zu der Zeit, als ich bei Bertelsmann das Eigenkapital verachtfachte.
Was haben Sie vor mit der Zeit, die Ihnen noch bleibt?
Ich arbeite an einem Buch, in dem ich über mein Scheitern schreibe. Ich setze mich für eine Justizreform ein, weil ich der Meinung bin, dass die Suizidkontrolle, durch die ich an der Autoimmunkrankheit Lupus erkrankt bin, abgeschafft werden sollte. Ich freue mich, dass meine Anstrengungen, die 15-minütigen Sicherheitskontrollen abzuschaffen, erste Früchte trägt. Das Justizministerium Nordrhein-Westfalens will in den Gefängnissen diese Form der Kontrolle durch Überwachung mit modernen Technologien ersetzen. Und ich nehme gerne Einladungen zu Vorträgen an, in denen ich meine Erfahrungen weitergeben kann.
Welche Botschaft wollen Sie weitergeben?
Die Amerikaner sagen: Fähigkeit mag dich an die Spitze bringen, aber es braucht Charakter, um dort zu bleiben. Mich selbst hat der Charakter irgendwann im Stich gelassen. Was ich außerdem gelernt habe: dass Gott mir zum wahrscheinlich letztmöglichen Zeitpunkt einen Weckruf geschickt hat, so dass ich mich besonnen und mein Leben neu ausgerichtet habe.
Thomas Middelhoff berichtet auf dem Kongress Christlicher Führungskräfte, der vom 28. Februar bis 2. März in Karlsruhe stattfindet.