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Humor trifft Tiefgang – Vor 50 Jahren starb Erich Kästner

Zu Herzen gehende Kinderromane und Literatur, die den Finger in die Wunde legt: Vor 50 Jahren starb der Autor Erich Kästner. Er war unbequem, genoss das Leben und liebte das Schreiben. Bis heute wird sein Werk gelesen.

Er hatte eine große Klappe: “Sehr frech”, schreibt seine spätere Lebensgefährtin Luiselotte Enderle über den 1,68 Meter “kleinen” Erich mit den hellen Augen und dem dunklen Haar. “Meine Kollegin Lena und ich konnten ihm dennoch nicht widerstehen” – genauso wenig wie Millionen Leser: Kästner war Musterschüler, Muttersöhnchen, Frauenheld, Publizist, Theaterkritiker, Kriegsfeind, Kinderbuchschreiber, gewitzter Lyriker, Autor mit Tiefgang, guter Freund und Lebemann. Er kostete das Leben aus, übertrieb es auch manchmal.

Vielleicht weil er sich bewusst war, dass es jederzeit für jedermann zu Ende sein kann. “Leben ist immer lebensgefährlich”, sagte er einmal. Vor 50 Jahren, am 29. Juli 1974, starb Erich Kästner, der trotz Tuberkulose und Herzschwäche filterlose Zigaretten rauchte und seinen täglichen Whiskey trank, mit 75 Jahren in München an Speiseröhrenkrebs.

2024 feiert Kästner neben dem 50. Todestag zwei weitere Jubiläen: Am 23. Februar wäre sein 125. Geburtstag gewesen; im Oktober wird sein Kinderbuchklassiker “Emil und die Detektive” 95 Jahre alt. Beliebt ist der Autor immer noch: Im vergangenen Jahr wurde “Das fliegende Klassenzimmer”, ein Roman von 1933, neu verfilmt. Viele seiner Kinderbücher gibt es mittlerweile als Comic-Adaptionen, illustriert von Isabel Kreitz im Stil Walter Triers, der die Originale bebilderte. Und jede Buchhandlung hat Gedichte und Romane von Kästner im Regal.

“Da ist kein Wort zu viel, die Handlungen sind stark durchkomponiert. Das macht die Stoffe so haltbar. Und gerade bei den Kinderbüchern merken wir: Er weiß, wie sich kindliche Ängste anfühlen”, sagte Kästner-Biograf Sven Hanuschek im Interview des Portals spektrum.de.

1899 wird Kästner in Dresden in eine kleinbürgerliche Familie geboren – und ist das ein und alles seiner Mutter. So lernt Ida Kästner etwa mit über 30 Jahren den Beruf der Friseurin, um mehr Geld zu verdienen und ihren Jungen besser versorgen zu können. Kästner setzt ihr und sich selbst in “Emil und Detektive” ein literarisches Denkmal – er war der Mustersohn, der Emil ist, und sie war die umsorgende und alles für ihren Sohn opfernde Mutter “Frau Tischbein”.

Was Kästner im Kinderbuch nicht schreibt, ist, dass seine Mutter oft am Rande des Suizids steht. Manchmal findet der kleine Erich, wenn er aus der Schule heimkommt, einen Zettel: “Ich kann nicht mehr! Sucht mich nicht!” Und Kästner, der später diese Szenen in seinen Erinnerungen “Als ich ein kleiner Junge war” beschrieben hat, rennt los, nichts als den Gedanken “Mutti, Mutti, Mutti” im Kopf. Er findet sie auf den Elbbrücken, wo sie bewegungslos ins Wasser starrt und sich dann von ihm nach Hause bringen lässt: “Es ist schon wieder gut.”

Die Beziehung wird eng bleiben, auch als Kästner längst erwachsen ist. Täglich schreibt er ihr, dreißig Jahre lang vertraut er “Muttchen” alles auf dem Postwege an, sogar Liebesangelegenheiten en detail. “Das Schlafen bei Steffa bekommt mir geradezu vorzüglich”, heißt es etwa fröhlich. Oder auch, ein wenig zerknirscht: “Man sollte sich eben doch alles abhacken, was mit Mann zu tun hat.”

Während des Dritten Reichs wurden Kästners Bücher von den Nationalsozialisten verboten und verbrannt. Kästner selbst steht auf dem Berliner Opernplatz unerkannt daneben, als ein Student sein Buch “Fabian” und seine Gedichtbände mit den Worten “Gegen Dekadenz und moralischen Verfall” in die Flammen wirft. Der Autor wird zwölf Jahre lang in seiner Karriere ausgebremst. Teilweise fand er Wege, unter Pseudonym zu schreiben – irgendwie musste er ja durchkommen, seinen Alltag finanzieren.

Eine Emigration ins Ausland lehnte er ab – obwohl die Gestapo ihn längst ins Visier genommen hatte. So wird er, wie Klaus Kordon in seiner Kästner-Biografie “Die Zeit ist kaputt” schreibt, Ende 1933 wie immer “elegant gekleidet, den Regenschirm eingerollt über dem Arm”, in seiner Bankfiliale von der Gestapo verhaftet. Das Taxi, das ihn in die Prinz-Albrecht-Straße bringt, muss er selbst bezahlen. “Da kommen ja Emil und die Detektive”, sollen die jungen Männer zynisch gesagt haben, als er den Raum betritt. Es geht gut aus für ihn, er darf nach stundenlangem Verhör wieder gehen. Und auch die zweite Verhaftung 1937 endet mit seiner Freilassung.

Ein Text, der seinen Ansprüchen genügt, müsse “wie hingespuckt” klingen, sagte Kästner einmal. Dafür feilt er an seiner Sprache, sein Stil kommt leicht und mit Witz daher. Aber seine Kinderbücher, seine Lyrik und seine Romane haben Themen, die damals wie heute berühren – ob es nun um Einsamkeit geht, um Heimweh, Armut, Liebeskummer oder Krieg. Aufgeben gilt nicht, wie Kästner trotz aller Wehmut und Resignation immer wieder betont: “Der Rucksack wächst. Der Rücken wird nicht breiter. / Zusammenfassend lässt sich etwa sagen: Ich kam zur Welt und lebe trotzdem weiter.”