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Horno: Neue Heimat nach Zwangsumsiedlung

Vor 20 Jahren sind die meisten Hornoer von ihrer alten in die neue Heimat gewechselt. Der Verlust des Alten schmerzt viele noch immer.

Dörthe Stein konnte in den vergangenen 17 Jahren 12 000 Besucher im Archiv „Verschwundene Orte“ begrüßen. Hier erklärt  sie dem Ehepaar Seba,  wo ihr abgebaggertes Heimatdorf Straodow  lag
Dörthe Stein konnte in den vergangenen 17 Jahren 12 000 Besucher im Archiv „Verschwundene Orte“ begrüßen. Hier erklärt sie dem Ehepaar Seba, wo ihr abgebaggertes Heimatdorf Straodow lagMarion Hirche

In dem Angerdorf Neu-Horno scheint die Welt in Ordnung: Die Häuser sehen alle modern aus, Sträucher und Bäume sind grün, die Wiesen saftig, in den Gärten blühen bunte Blumen, Obstbäume tragen reifende Früchte. Wer auf der kleinen Plattform am Dorfteich sitzt, sieht die Seerosen weiß blühen und hört die Frösche quaken. Das Gezwitscher der Vögel mischt sich mit dem Gelächter von Kindern, die sich auf dem benachbarten schicken Spielplatz tummeln. Im Feuerwehrgerätehaus stehen ein modernes Einsatzfahrzeug und auch die gut sanierte Handdruckspritze von 1925. In der neu erbauten Kirche erinnern viele Details an die 2004 gesprengten Kirche im Vorgängerdorf. Der Turm trägt zum Beispiel die alte Haube. Rund 200 Menschen leben in Neu-Horno. Hier ist also die Welt in Ordnung, sollte man meinen.

Doch es gibt Verwerfungen. Vor 20 Jahren passierte, was die meisten von denen, die vorher in Horno lebten, als Zwangsumsiedlung verstehen – auch heute noch. Sie mussten ihr Heimatdorf Horno am Hornoer Berg verlassen. Das Dorf gehörte zu Forst, in der Lausitz im Landkreis Spree-Neiße gelegen. Der Bergbau hat das Gebiet in Beschlag genommen. Nach Ausschöpfung aller rechtlichen Mittel gegen die Abbaggerung ihrer Heimat sind die Hornoer im Jahr 2003 mehrheitlich nach Forst umgezogen.

Wünsche wurden erfüllt

„Wir haben damals sehr lange gekämpft“, erinnert sich Pfarrerin im Ruhestand Dagmar Wellenbrink-Dudat, „aber als wir merkten, dass es vergeblich ist, haben wir uns neu orientiert. Damals haben wir beschlossen, dass die Umsiedlung nach unseren Wünschen stattfinden soll.“ Die Lausitzer Braunkohle AG (Laubag) hat damals fast alle Wünsche berücksichtigt: Es wurde ein Angerdorf angelegt, die Menschen konnten über ihre neuen Häuser entscheiden, und darüber, wer ihre Nachbarn sein sollen. Genau wie damals tragen die Straßen deutsch- und sorbischsprachige Namen. Lediglich der damals bei Horno gelegene Wald fehlt, und der Friedhof liegt nicht mehr direkt am Gotteshaus, sondern im benachbarten Forster Ortsteil Eulo.

In der neu gebauten Kirche findet die Leiterin des Archivs „Verschwundene Orte“, Dörthe Stein, auch das Taufbecken des früheren Gotteshauses, in dem ihre Kindern getauft wurden. Heute sind sie erwachsen, wohnen in Cottbus und Potsdam.

Archiv-Arbeit

Seit 17 Jahren arbeitet die 54-Jährige nun schon in dem Archiv, dass Dokumentationen über alle 137 seit 1924 abgebaggerten Dörfer der Lausitz aufbewahrt. Sie hat hier eine neue interessante Aufgabe gefunden, fühlt sich im Dorf wohl: „Wir haben ein intaktes Vereinsleben, die Bürger kommen zusammen, wir haben uns an die neuen Gegebenheiten gewöhnt. Meine Eltern denken aber noch sehr oft an ihre verlorene Heimat“.

Pfarrerin im Ruhestand Dagmar Wellenbrink-Dudat
Pfarrerin im Ruhestand Dagmar Wellenbrink-DudatMarion Hirche

Lange gekämpft

Den Verlust des Alten hat auch die heute 78-jährige Pfarrerin Dagmar Wellenbrink-Dudat noch nicht ganz bewältigt. In den 1990er Jahren und in den ersten Jahren ab 2000 hatte sie sich Seite an Seite mit Ortsvorsteher Bernd Siegert und Landrat Klaus Richter intensiv für den Erhalt des Ortes engagiert: „Die Menschen haben von mir erwartet, dass ich mich für die Bewahrung der Schöpfung einsetze, und das habe ich mit ganzer Kraft getan. Auch wenn ich mich heute in dem neuen Pfarrhaus wohl fühle, quälen mich nach wie vor immer wieder die Erinnerungen an das, was wir aufgeben mussten.“ Es ist ihr anzumerken, wie sehr sie dieses Thema innerlich aufwühlt. „Auch heute lässt es mich manchmal nicht schlafen“, erzählt sie.

Dann steigt sie auch mal in die erste Etage des Gebetshauses hoch. Hier sind Modelle von 27 Kirchen zu sehen, die wegen der Abbaggerungen der Dörfer gesprengt wurden. Sie würdigt, dass im Dorf wieder ein Leben in Gemeinschaft eingezogen ist: „Die neuen jungen Pfarrer aus Forst machen ihre Sache richtig gut“. Zahlreiche Vereine sorgen für Abwechslung: der Spielmannszug, Sänger und Sängerinnen, die Frauensportgruppe. Man trifft sich im „Hornoer Krug“ oder auf der Bowlingbahn, im Jugend- oder Vereinsraum. Im Dorfanger steht der von Neu-Hornoern aufgestellte Maibaum, den eine sorbische Fahne und Bänder in den sorbischen Nationalfarben Blau, Rot und Weiß zieren. Fastnacht wird hier gefeiert in sorbischer Tracht, das Osterfeuer wird entfacht, und am 1. Juli wird es erstmals ein Sommerfest für alle Einwohner geben.

„Ich denke, die Menschen sind hier angekommen“, sagt Ortsvorsteherin Kerstin Handreck. Dagmar Wellenbrink-Dudat freut sich auf den Ausflug der Senioren mit der Domowina-Ortsgruppe in den Spreewald.

Archiv „Verschwundene Orte“, An der Dorfaue 9, 03149 Forst/Lausitz, OT Horno, Telefon 03562/694836,
www.archiv-verschwundene-orte.de