Als neulich Landwirte in und um Berlin ihre Traktoren anwarfen, um zu protestieren, da war ein Fahrzeug der Lobetaler Landwirtschaft dabei, die vom Landwirtschaftsmeister Tobias Böttcher (35) geleitet wird. Sie ist Teil der diakonischen Hoffnungstaler Stiftung Lobetal und des diakonischen Stiftungsverbundes Bethel. Ihr Ursprung reicht bis zur Gründungszeit der Stiftung Lobetal.
„Man muss sich solidarisieren“, sagt Tobias Böttcher über die Blockaden, zu denen Bauernverbände aufgerufen hatten. Ihm gehe es nicht allein um Agrardiesel und Kraftfahrzeugsteuer. Agrarpolitisch müsse es grundsätzlich in eine andere Richtung gehen, sagt er, „sonst verlieren wir in Deutschland unsere Landwirtschaft.“ Er spricht von der Notwendigkeit nachhaltiger Produktion und Produkte. Es sei alles andere als klug, in Deutschland die Landwirtschaft zu gefährden, um dann die Lebensmittel nur noch im Ausland einzukaufen, wo sie teilweise unter fragwürdigen Arbeits-und Produktionsbedingungen erwirtschaftet würden.
Agrarzuschüsse sichern regionale Lebensmittel
Damit das in Deutschland und Europa nicht passiert, gibt es Agrarsubventionen aus Steuermitteln. Fast jeder dritte Euro des Haushaltes der Europäischen Union geht als Zuwendung in die Branche Landwirtschaft; am Bruttoinlandsprodukt Europas ist sie mit 1,6 Prozent beteiligt (Deutschland: 0,9 Prozent). Allein aus Brüssel fließen acht Milliarden Euro jährlich in die deutsche Landwirtschaft. Hinzu kommen nationale Vergünstigungen, für deren Erhalt Landwirte zurzeit demonstrieren.
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Ohne die Agrarförderung aus Brüssel, Berlin und Potsdam käme wohl auch der Betrieb in Lobetal bei Bernau (ein weiterer Standort ist Dreibrück bei Nauen) nicht zurecht. 459 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche (371 Hektar Ackerland und 88 Hektar Wiesen und Weiden) sowie 290 Hektar Wald ergeben im ostdeutschen Vergleich eine eher kleine Betriebsgröße. Dennoch: Bewirtschaftung und Finanzierung seines Betriebes seien mit übermäßig viel Bürokratie verbunden. „Die Hälfte meiner Arbeitszeit“, rechnet Betriebsleiter Böttcher hoch, „verbringe ich damit, dass ich mich über Formulare beuge und in Computer-Tabellen tippe.“ Der bürokratische Aufwand, Förderanträge zu stellen und (staatliche) Prüfer durch Ställe und über Wiesen und Äcker zu begleiten, sei heftig – aber eben meist gerechtfertigt.
Menschen mit geistiger Behinderung helfen im Kuhstall
Das Gemeinwesen will nun mal wissen, wie seine Subventionen – weil es ja Steuergelder sind – Früchte tragen. Und Prüfer haben Anspruch darauf, die Qualität der Produkte und das Tierwohl in den Ställen zu sehen. Unverständlich sei allerdings, welche Dominanz nationale und europäische Datenschutzverordnungen hätten. Böttcher spricht über exorbitanten Arbeitsaufwand und erzählt von identischen Vielfachprozeduren, die eher an Kafkas „Schloss“ erinnern als an zügige Digitalkommunikation.
Aus vielerlei Gründen ist Lobetal besonders: Hier wird zugleich „soziale Landwirtschaft“ und ökologische Landwirtschaft betrieben. Unter den 13 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, die in benachbarten Lobetaler Wohngemeinschaften leben oder mit Fahrdiensten aus der Umgebung hierher gebracht werden. Zuverlässig und froh, gebraucht zu werden, arbeiten diese Mitarbeiter beispielsweise im Kuhstall, übernehmen die Versorgung der Kälber: Futter, Muttermilch, Heu, Ausmisten. Menschen mit geistiger Behinderung brauchen Ansprache, Betreuung und Zuwendung, ihren Möglichkeiten sind oft Grenzen gesetzt.
Auf Pestizide und synthetische Düngemittel wird verzichtet
Rein kalkulatorisch geht das vielleicht zu Lasten der betrieblichen Produktivität. Aber wenn sie sich auf eine stets wiederkehrende Tagesroutine verlassen können, dann können sich Betriebsleiter wie Tobias Böttcher auf zuverlässige Mitarbeiter verlassen: „Sie sind teilweise pflichtbewusster als manche Fachkraft“, sagt er. Sie entwickeln sich mit ihrer Arbeit weiter, machen sich fit für mehr Integration. „Viel zu wenige, werden sogar im gutbezahlten ersten Arbeitsmarkt übernommen“, so Böttcher.
Mit Stolz nennen sich die Lobetaler „ökologische“ Landwirtschaft. Auf chemische Pestizide und synthetische Düngemittel wird verzichtet, dafür wird auf Fruchtfolge, Kompostierung und biologische Schädlingsbekämpfung geachtet. „Wir haben hier eine Kreislaufwirtschaft, die ganz einfach zu erklären ist“, sagt Tobias Böttcher. „Der Acker ernährt unsere Kühe, und die Kühe ernähren den Acker.“
Lobetaler Milch mit “tiefgrünem Fußabdruck”
Eine umweltschonende, aber auch arbeits- und kostenintensive Produktionsweise ermöglicht bessere Preise im Bio-Markt – ein Markt, der tendenziell dynamisch wächst und somit Chancen für ökologisches Wirtschaften bietet. Für Tobias Böttcher und seine Kolleginnen und Kollegen gehört das Wohl der Rinder natürlich dazu. 62 Kühe und 150 weibliche Jungrinder sind in Lobetal und 88 Rinder werden in Dreibrück gehalten. Die Ställe sind mit Stroh ausgelegt und im Sommer lebt das Vieh auf Weiden, die zur Lobetaler Landwirtschaft gehören. Täglich werden rund 1000 Liter Rohmilch in die erfolgreiche Lobetaler Bio-Molkerei gebracht, wo prämierte Milchprodukte besonders für den Berliner Markt hergestellt werden, zu dem Schul- und Kita-Mensen gehören, aber auch Behördenkantinen.
Laut Böttcher zeichne Lobetaler Milch „ein sehr grüner Fußabdruck“ aus, um eine gewagte Metapher zu bemühen. „Wir meiden weite Transportwege, bemühen uns, Kraftstoff zu sparen.“ Fast noch wichtiger sei der soziale Aspekt, dass nämlich Milch auf wirklich allen Produktionsstufen – vom Stall bis in die Molkerei – von Menschen mit Beeinträchtigungen hergestellt und veredelt wird. So wird die biblische „Bewahrung der Schöpfung“ in der Lobetaler Landwirtschaft auf gleich mehrfache Weise verkörpert.