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Höchststand bei Kindeswohlgefährdung – Ministerium will Treffen

Sie werden körperlich vernachlässigt, erfahren keinen emotionalen Halt, werden geschlagen oder sexuell missbraucht: Die gemeldete Zahl der Kindeswohlgefährdungen nimmt zu.

Die Zahl der Kindeswohlgefährdungen in Deutschland hat 2023 einen neuen Höchststand erreicht. Wie das Statistische Bundesamt am Freitag mitteilte, stellten die Jugendämter bei mindestens 63.700 Kindern oder Jugendlichen eine Kindeswohlgefährdung durch Vernachlässigung, psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt fest. Das waren rund 1.400 Fälle oder 2 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Das Bundesfamilienministerium nennt die Zahlen “besorgniserregend”. Gemeinsam mit den Ländern sollen im Herbst konkrete Lösungen erarbeitet werden, um Kinder besser zu schützen, sagte eine Ministeriumssprecherin der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Da einige Jugendämter für 2023 keine Daten melden konnten, ist laut den Statistikern sicher, dass der tatsächliche Anstieg noch deutlich höher ausfiel: Sie gehen von einer geschätzten Gesamtzahl von 67.300 Fällen (plus acht Prozent) aus. Laut Bundesamt steigt die Zahl der Kindeswohlgefährdungen seit Jahren an: Mit Ausnahme des Jahres 2017 und des Corona-Jahres 2021 nahmen die Fallzahlen seit Einführung der Statistik im Jahr 2012 stets zu. Gründe könnten – neben einer tatsächlichen Zunahme der Gefährdungsfälle – auch eine höhere Sensibilität und Anzeigebereitschaft beim Thema Kinderschutz sein.

Den rund 63.700 Meldungen zufolge waren die betroffenen Kinder bei Feststellung der Kindeswohlgefährdung im Schnitt 8,2 Jahre alt. Während bis zum Alter von 12 Jahren Jungen etwas häufiger betroffen waren, galt dies ab dem 13. Lebensjahr für Mädchen. Die meisten betroffenen Minderjährigen wuchsen bei alleinerziehenden Elternteilen (39 Prozent) oder beiden Eltern gemeinsam (38 Prozent) auf. 13 Prozent lebten bei einem Elternteil in neuer Partnerschaft und 10 Prozent in einem Heim, bei Verwandten oder in einer anderen Konstellation. In knapp jedem dritten Fall (31 Prozent) waren ein oder beide Elternteile ausländischer Herkunft (nicht in Deutschland geboren).

In den meisten Fällen haben die Behörden Anzeichen von Vernachlässigung festgestellt (58 Prozent). Bei 36 Prozent gab es Hinweise auf psychische Misshandlungen. In 27 Prozent der Fälle wurden Indizien für körperliche Misshandlungen und in 6 Prozent für sexuelle Gewalt gefunden. Den Jugendämtern zufolge hatte ein Teil der Kinder mehrere dieser Gefährdungsarten gleichzeitig erlebt: 2023 traf das auf knapp jeden vierten Fall von Kindeswohlgefährdung zu (23 Prozent).

Neue Ergebnisse zeigen nun auch, von wem die Gefährdung des Kindes – ausschließlich oder hauptsächlich – ausging: In 73 Prozent war das die eigene Mutter oder der eigene Vater. In weiteren 4 Prozent war es ein Stiefelternteil, die neue Partnerin oder der neue Partner eines Elternteils und in 6 Prozent eine sonstige Person, etwa eine Tante, ein Trainer, der Pflegevater oder die Erzieherin. In 11 Prozent der Fälle waren weder die Zahl der Beteiligten noch die (Haupt-)Person bekannt.

Den vorliegenden Daten zufolge haben die Jugendämter 2023 insgesamt rund 211.700 Hinweismeldungen geprüft. Die meisten Hinweise wurden von Polizei und Justiz an die Jugendämter weitergegeben (31 Prozent). Etwas seltener kamen Tipps aus der Bevölkerung – also von Verwandten, Bekannten, aus der Nachbarschaft oder anonym (22 Prozent). An dritter Stelle folgten Hinweise aus der Kinder- und Jugend- oder Erziehungshilfe (13 Prozent) und dahinter Hinweise aus den Schulen an die Jugendämter (12 Prozent). Etwa ein weiteres Zehntel stammten aus den Familien selbst, also von den betroffenen Minderjährigen (2 Prozent) oder ihren Eltern (7 Prozent). In 30 Prozent aller Hinweismeldungen haben die Jugendämter den Verdacht auf Kindeswohlgefährdung anschließend bestätigt.

Die Ministeriumssprecherin sagte weiter, der Kinderschutz habe für das Ministerium “höchste Priorität”. Zuständig seien in erster Linie die Länder und Kommunen. Zusammen mit diesen, aber auch mit Aufsichtsbehörden sowie Einrichtungen vor Ort sollten konkrete Lösungen erarbeitet werden.