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Historiker: Trumps Verdrehung der Geschichte greift um sich

“Geschichtsbücher zu lesen, ist eben anstrengend”, meint Historiker Hannes Leidinger mit Blick auf Donald Trump. Der führt seine Gäste im Weißen Haus vor – indem er historische Fakten verdreht. Der Effekt: Nachahmung.

Die Geschichtsverdrehungen von US-Präsident Donald Trump greifen nach Einschätzung des Historikers Hannes Leidinger bereits um sich. Wenn der mächtigste Mann der Welt versuche, die Geschichte anderer Länder umzuschreiben, sei die Folge Nachahmung, sagte der Dozent der Uni Wien im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Dies sei bereits in anderen Ländern zu erkennen.

“Nicht von ungefähr haben viele Bewegungen in Europa dieselben Pfeile im Köcher”, so Leidinger: Wissenschaftsfeindlichkeit, “eine Politik vermeintlicher Stärke, Bewaffnung, nationale Identität – und: etwas wieder groß machen zu wollen”.

Der Historiker bejahte, dass man Trump Geschichtsvergessenheit vorwerfen könne. “Ein gewisses Bildungsdefizit muss man bei all seinen Wortmeldungen erkennen”, so Leidinger. Geschichtsbücher zu lesen, sei anstrengend. Der Historiker räumte zugleich ein, dass es nicht immer leicht sei, Dinge datenbasiert zu analysieren. “Da bilden sich nicht so schnell einfache Antworten.”

Es sei ganz klar, dass schnelle Botschaften Menschen im digitalen Zeitalter eher erreichten als lange Texte, sagte Leidinger. Allerdings sehe er zuletzt mit Verärgerung, “dass politische Bewegungen teils so gut wie gar nicht mehr darüber nachdenken, welche Vergangenheit, welche Entwicklungen und Begrifflichkeiten problematisch sind”.

Trump hatte seinen südafrikanischen Amtskollegen Cyril Ramaphosa am Mittwoch (Ortszeit) im Weißen Haus offensiv mit einer Verschwörungserzählung rechter Kreise konfrontiert. Südafrikas Regierung dulde einen “Völkermord” an der weißen Minderheit im Land. Vermeintlich untermauert wurde der vorbereitete Vortrag mit aus ihrem Zusammenhang gerissenen Bildern und Videos.

Mit Blick auf Geschichtsvergessenheit in Deutschland und Österreich sagte Leidinger, es werde gefährlich, wenn Bewegungen wie “Reichsbürger” oder “Identitäre” bei Parteien andocken könnten. Ob “unsere Parteien gegenüber Links- und Rechtsextremen vorsichtig genug” seien, daran “darf man zweifeln”, so der Wissenschaftler. Es bestehe die Sorge, dass Parteien wie die AfD in Deutschland oder die FPÖ in Österreich rechtsextremes Gedankengut wieder alltagsfähig machen – “weil sie sich nicht klar genug abgrenzen, wenn es darauf ankommt”.

Allfällige Rufe, bei der Aufarbeitung von Gewalt “einen Schlussstrich zu ziehen”, nannte Leidinger eine Kopfgeburt. “Schließlich sprechen wir von unglaublichen Verletzungen, die in der Familie weitergegeben werden.” Letztlich müsse “beides in einer Gesellschaft möglich sein: sich mit der Geschichte beschäftigen und in die Zukunft blicken; die Geschichte mittragen, aber sie nicht zur Handlungsanleitung machen”. – Leidinger forscht unter anderem zu Kriegsverbrechen und Erinnerungskultur.