„Heiligabend ist es ruhiger als an normalen Wochenenden“, sagt Gina. „Da sind weniger Leute auf der Straße unterwegs, also gibt es auch weniger Meldungen.“ Die 29-Jährige gehört zum ehrenamtlichen Team des Kältebusses 1 der Berliner Stadtmission. Zusammen mit Mathias Förster (42) am Steuer ist Gina in der Nacht des 24. Dezember in der Hauptstadt unterwegs. Ihr Auftrag: Obdachlosen in der Kälte beizustehen, mit Tee, Suppe, Kleidung oder mehr. Auf Wunsch werden die Menschen in eine Notunterkunft gebracht.
Während Mathias den Kältebus durch die nächtlichen Straßen steuert, geht Gina auf dem Tablet eingehende Meldungen durch, koordiniert und telefoniert. Grün, Gelb und Rot leuchten die Meldungen. So kann sie auf den ersten Blick erkennen, wie dringlich eine Versorgung ist. Bei manchen Mitteilungen stehen ausführlichere Beschreibungen über den Zustand der gemeldeten Person und den Ort.
„Es hilft sehr, wenn die Menschen, die anrufen, schon mit der Person auf der Straße geredet haben“, sagt Gina. Manche Menschen würden aber einfach nur anrufen, wenn sie im Vorbeigehen eine Person auf einer Bank oder in einer Bushaltestelle liegen sehen: „Die haben Angst, mit dem obdachlosen Menschen zu reden.“
Im Bus hat das Team lösliche Getränke und Instantsuppen, Schlafsäcke und ein paar Klamotten. Heute liegt noch ein Stapel Geschenke mit warmen Socken, anderer warmer Kleidung und Hygieneartikeln auf der Rückbank; viele von Schülern gepackt. Meist haben sie einen kleinen Brief beigelegt: „Liebe/r Empfänger/in, ich hoffe, dieser kleine Karton bringt Ihnen etwas Freude und Wärme in dieser kalten Jahreszeit. Auch wenn wir uns nicht kennen, möchte ich, dass Sie wissen, dass jemand an Sie denkt und Ihnen alles Gute wünscht.“
Die Tour geht weiter Richtung Charlottenburg. Ein Bekannter von Mathias lebt seit Jahren in einem Raum eines Parkhauses. Vorher wird aber noch ein Hotspot am Ostbahnhof angesteuert. Von da gibt es zwar keine Meldung, aber aus Erfahrung wissen die Kältebus-Teams, dass dort unter der Bahnbrücke immer wieder Menschen liegen.
„Hey, wir sind der Kältebus. Brauchst du Hilfe?“, fragt Gina einen Mann, der unter der Brücke in einen Schlafsack eingepackt auf einer Isomatte liegt. Gerne nimmt er einen Tee und einen Becher Suppe. Als Gina ihm sagt, dass sie noch Geschenke im Wagen haben und ob er eines möchte, leuchten seine Augen.
In der Kältebus-App sind mittlerweile zwei neue Meldungen eingegangen. „Eine Grüne und eine Gelbe“, sagt Gina zu Mathias. Bei der einen geht es um eine Person, die von der Notaufnahme eines Krankenhauses in eine Notunterkunft gebracht werden soll. Sie ist also erst einmal betreut und im Warmen. Die zweite Meldung ist gelb: Jemand sitzt in einem Bushaltestellenhäuschen in der Nähe des Anhalter Bahnhofs.
Als der Kältebus dort eintrifft, finden Gina und Mathias eine Frau mit wenigen Habseligkeiten in einem Plastikkorb vor. Vornübergebeugt sitzt sie zusammengekauert auf der Bank. Gina spricht sie an. Nach einigem Zureden nimmt die Frau Hilfe an. Gina bringt ihr einen Becher Tee und eine Suppe. In eine Notunterkunft will sie aber nicht gebracht werden. Als Gina ihr eines der Geschenke anbietet, schaut sie ungläubig, und als sie es dann in den Händen hält, strahlt sie.
Weiter Richtung Charlottenburg: Während der Fahrt wandert der Blick der beiden immer wieder über die Fußwege und Hauseingänge. Neben dem Eingang zur U-Bahn am Mendelssohn-Bartholdy-Park entdecken sie ein kleines Zelt. Sie halten an. Doch im Zelt ist niemand.
Mathias fährt sechsmal im Monat in der Kältebus-Saison, von Beruf ist er Sozialarbeiter: „2011 habe ich mich bei einem Praktikum in diese Arbeit verliebt, und seitdem bin ich dabei.“ In den 13 Jahren hat er ein Gespür dafür entwickelt, was die Menschen auf der Straße brauchen. Gina, auch Sozialarbeiterin, fährt seit 2021 nachts mit: „2023 war das im Schnitt zwei- bis dreimal in der Woche.“
In Charlottenburg angekommen wartet Mathias Bekannter schon: „Ja, hat etwas länger gedauert. Du kennst das ja“, sagt der Kältebusfahrer zu dem 60-Jährigen. Mathias bekommt von ihm ein Geschenk und revanchiert sich mit Geschenken aus dem Kältebus. „Solche Gespräche und sozialen Kontakte sind wichtig für die Menschen“, sagt Gina.
Doch schon müssen sie weiter. Es gibt eine neue Meldung über eine hilflose Person in einem Hausflur in Marienfelde. Ganz im Süden von Berlin. Mathias gibt die Adresse ins Navi ein, trotz seiner 13 Jahre Erfahrung kennt er nicht alle Straßen in Berlin. Die Stadt ist einfach zu groß. Auf dem Weg von der Mitte der Stadt in den Süden gehen die Blicke wieder am Straßenrand entlang. Mittlerweile ist es unter null Grad und bitterkalt.