Die Sterne aus Herrnhut kennt fast jeder. Auch die Herrnhuter Losungen sind ein protestantischer Exportschlager. Nun könnte der sächsische Gründungsort der Brüdergemeine bald Unesco-Welterbe sein.
Der kleine, ostsächsische Ort ist in vielerlei Hinsicht ungewöhnlich. Gut 1.200 Einwohner zählt Herrnhut selbst, etwa 5.000 mit den eingemeindeten Dörfern ringsum. Bekannt ist das Städtchen weltweit durch zwei “Exportschlager”: Zum einen die Herrnhuter Sterne, fast 800.000 Stück verlassen pro Jahr die örtliche Manufaktur. Zum anderen die Herrnhuter “Losungen”, ein jährlich neu zusammengestelltes Andachtsbuch mit Bibelversen für jeden Tag, inzwischen in mehr als 60 Sprachen verlegt.
Beides geht auf die Herrnhuter Brüdergemeine zurück, eine der ältesten evangelischen Freikirchen in Deutschland, die früh missionarisch aktiv war und heute weltweit rund 1,2 Millionen Mitglieder zählt.
Ihre Entstehung war eine Folge der Migrationsbewegungen im frühen 18. Jahrhundert. Damals nahm Graf Ludwig Nikolaus von Zinzendorf (1700-60) protestantische Glaubensflüchtlinge aus Mähren auf und siedelte sie auf seinem Land an. Am 17. Juni 1722 soll der Zimmermann und spätere Missionar Christian David den ersten Baum für den Bau der neuen Siedlung unter “des Herrn Hut” gefällt haben – mit einer Breitaxt, heute noch im Herrnhuter Heimatmuseum zu sehen. Das Datum wird seither als Gründungstag begangen.
Vielleicht schon diese Woche könnten die sächsischen Siedlungen der Herrnhuter-Brüdergemeine Welterbe-Status erlangen. Zusammen mit dem Residenzensemble Schwerin sind sie als einzige deutsche Kandidaten auf der aktuellen Unesco-Liste zur Aufnahme in das Kultur- und Naturerbe der Welt vertreten. Derzeit tagt das Unesco-Welterbekomitee in Neu Delhi und entscheidet über Neuaufnahmen.
Treibende Kraft bei der Gründung der Brüdergemeine vor 300 Jahren war besagter Graf Zinzendorf, den man sich als kreativen Pragmatiker mit großem Sendungsbewusstsein vorstellen muss. Er entwickelte die Idee eines gemeinschaftlichen Lebens als “Gottesdienst”. Bildung und Gleichberechtigung zählten zu den Grundpfeilern dieser pietistisch geprägten Erneuerungsbewegung, die bald schon ein globales Netzwerk entspann. Und dieses auch wirtschaftlich nutzte: So importiert die Herrnhuter Firma Abraham Dürninger als erste Zigarren aus Havanna in deutsche Lande.
Vom erfolgreichen Handel zeugen bis heute die imposanten barocken Bürgerhäuser, die sich im Ortskern um den großen Kirchensaal reihen. Dieser wiederum gilt als “gute Stube” der Brüdergemeine und ist doch innen extrem schlicht gehalten, ganz weiß – selbst das Kreuz ist weiß auf weißem Grund.
Rund 6.000 Besuchern zeigt und erklärt sie jährlich das geistliche Zentrum von Herrnhut, mit Kirchensaal und “Gottesacker”, dem berühmten Friedhof der Brüdergemeine, dessen Gestaltung der Gedanke von der Gleichheit im Tod zugrunde liegt. Inzwischen zählt das symmetrisch angelegte Kulturdenkmal 6.000 genormte schlichte Gräber mit liegenden Steinen – wer einmal hier liegt, liegt hier für ewig. Auf der einen Seite die Frauen, auf der anderen die Männer.
In einer Dauerausstellung ist die Silberschale zu sehen, in der jedes Jahr 1.100 Kärtchen mit Zahlen gelegt werden – jede steht für einen Bibelvers. Daraus werden mit drei Jahren Vorlauf die “Losungen” gezogen. 1728 soll Graf Zinzendorf erstmals eine Losung als biblische “Tagesparole” ausgegeben haben.
Das “Losen” hatte für die frühe Brüdergemeine jedoch einen anderen Ursprung: Traf die Glaubensgemeinschaft eine Entscheidung, etwa ob ein bestimmter Missionar in die Karibik entsandt werden sollte, musste dies stets mit einer “Gottesentscheidung” bestätigt werden. Dazu wurde mit drei hölzernen Röllchen gelost. In jedem steckte ein Zettel: ein “Ja”, ein “Nein” und ein unbeschriebenes Blatt. Wozu letzteres? Es sollte signalisieren, dass es vielleicht noch nicht der richtige Zeitpunkt für die Entscheidung ist.