Gott kann man überall begegnen, auch an den entlegensten Orten. Die Bibel berichtet davon, wie Mose Gott in einem brennenden Dornbusch gegenübertritt. Jakob schläft des Nachts auf einem Stein ein und träumt von einer Leiter, die zum Himmel führt und an deren oberen Ende Gott steht und zu ihm spricht.
Es sind ganz besondere Orte, an denen Gott und Mensch sich treffen können. Den Stein, auf dem Jakob eingeschlafen ist, richtet er am nächsten Tag auf und baut einen Altar daraus, der von dieser Traumbegegnung künden soll. Ein heiliger Ort.
Für die beiden Tafeln mit den Zehn Geboten wird eine Lade gebaut, die das Volk Israel immer begleitet. Sie ist das Symbol für die Gegenwart Gottes bei seinem Volk. Auf der Flucht von Ägypten wird sie im Lager in einem Zelt verwahrt, zur Zeit König Davids wird sie im Jerusalemer Tempel aufgestellt.
In erster Linie Glaubenszeugnisse
In dieser Tradition der Begegnung und Beherbergung Gottes stehen auch die christlichen Kirchengebäude. Für ihren Bildband „Die schönsten Kirchen Europas“ haben der Fotograf Guillaume de Laubier und der Architekturhistoriker Jacques Bosser aus dem vieltausendfachen Bestand 40 Kirchen in Europa ausgewählt. Sie schlagen damit einen großen zeitlichen und geographischen Bogen von der Zeit der Urchristen bis ins 21. Jahrhundert, von Rom über Frankreich, die iberische Halbinsel, Deutschland und England bis hin nach Osteuropa und Skandinavien.
Kirchenbauten sind in erster Linie Glaubenszeugnisse, zu Stein gewordene Gebete. Durch sie will man Gott loben und ehren, ihm näher kommen, ihn vielleicht – auch im Hinblick auf das Leben nach dem Tod – ein wenig gnädig stimmen. In diesem Sinn wurden sie alle von ihren Bauherren zumindest subjektiv als „schönste Kirche“ konzipiert. Oft wurde diese Schönheit nur unter größtmöglichen persönlichen Entbehrungen der Gläubigen erreicht.
Zugleich waren die Kirchen als öffentliche Bauwerke aber auch Symbole für Machtstreben und Machtdemonstration und dienten der Zurschaustellung kirchlichen und städtischen Reichtums.
In der katholischen Liturgie ist eine „schöne“ Kirche unabdingbar, denn der gesamte Gottesdienst ist so strukturiert, dass er alle fünf Sinne der Gottesdienstbesucher ansprechen soll: Hören – Lesungen und Predigt, Riechen – Weihrauch, Fühlen – Weihwasser, Schmecken – Eucharistie. Das Sehen wird durch die prächtigen Gewänder der Priester, die Bilder, den Gold- und Silberschmuck und eben die schönen Bauten selbst angesprochen.
Die Zeiten haben sich gewandelt. Heute beobachten wir in Europa einen deutlichen Rückgang christlicher Religionsausübung. Gleichzeitig, so Bosser, „sahen Kirchenbauten mit architektonischem Anspruch noch nie so große Besucherzahlen wie heute“. Dabei sei die „Mehrzahl derer nicht gläubig, nicht praktizierend oder aber einer fremden Religion zugehörig“.
Anreiz, die Koffer zu packen und aufzubrechen
Es dürften aber nicht allein ästhetische Gründe sein, die den Besuch auch vieler „Ungläubiger“ in den Gotteshäusern erklären. So zitiert Bosser den französischen Historiker Robert Aron, der 1955 äußerte: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich an Gott glaube. Sicher bin ich mir allerdings dank der Geschichte, die mich andächtig innehalten lässt, dass ich an all jene glaube, die – wo auch immer, wann auch immer – an ihn glaubten.“
Die Reise, auf die beiden Autoren ihre Leserschaft mitnehmen, führt natürlich zu den größten und bedeutendsten Kirchen. Zu nennen sind da etwa der Petersdom in Rom, die Sagrada Familia in Barcelona und – nach der verheerenden Brandkatastrophe Anfang April – mit mittlerweile historischen Bildern die Kathedrale Notre Dame in Paris, die nach den Worten des französischen Staatspäsidenten Emmanuel Macron „noch schöner“ wieder erstehen soll.
Jedes Foto in dem sehr empfehlenswerten Bildband für sich genommen ist ein großartiges Kunstwerk. Dazu gehen die gut lesbaren Texte auf das Umfeld jeder Kirche ein, ihren Erbauer und nennen kunsthistorisch-architektonische Fakten.
Damit nicht genug, finden einige geographisch abgelegenere und auch unbekanntere Kirchen Beachtung, die – ähnlich den Apokryphen in der Lutherbibel – „nicht gleich gehalten und doch nützlich zu lesen“ – will sagen: zu sehen – sind. Zu nennen sind da zum Beispiel die Stabkirchen in Norwegen, das Sedletz-Ossarium in Kutná Hora (Tschechische Republik), die Kirchen der Moldauklöster oder die schlesischen Friedenskirchen.
Ob es den Autoren wirklich gelungen ist, titelgebend „Die schönsten Kirchen Europas“ auszuwählen und zu präsentieren, sei dahingestellt. In jedem Fall reizt dieser prachtvolle Band dazu, die Koffer zu packen und aufzubrechen, um alle diese Kirchen einmal persönlich zu besuchen.