Es ist eisig kalt in dieser Nacht am Kölner Hauptbahnhof. Das Thermometer zeigt Minusgrade an und vor dem Kältebus des Vereins “Freunde der Kölner Straßen und ihrer Bewohner” bildet sich eine lange Schlange von Obdachlosen. Hier gibt es warmes Essen, heißen Tee und Kaffee und vor allem: Zuwendung. “Pro Abend kommen so 100 bis 120 Leute”, berichtet Malte Petrikat, der Vorstandschef des Vereins, der sich vor zehn Jahre in den sozialen Netzwerken gegründet hat und montags und mittwochs unterwegs ist. Viele kämen aus der Innenstadt, einige aber auch aus entlegeneren Vierteln, sagt Petrikat.
Es gibt Bulgur mit Huhn und Tee mit viel Zucker. “Das gibt Energie”, erklärt einer der Helfer, Detlev, später. Auch Bananen werden verteilt und gern angenommen. Biggi ist heute auch wieder da. Die ältere Dame ist selbst obdachlos, hilft aber regelmäßig mit, wenn der Kältebus anrollt. “Schon seit ein paar Jahren”, erzählt sie stolz, eingepackt in eine leuchtend-orange Jacke und mit dicken Schützern auf den Ohren. “Ich mach den Job gerne.”
Biggi macht die Tische sauber, auf denen die großen Essensbehälter und Teller stehen. Aktuell schläft sie wohl in einer Unterkunft, erzählt Feyza Bayraktar. Die 41-Jährige engagiert sich seit acht Jahren beim Kältebus, der auf Spenden angewiesen ist; erst vor kurzem war sie mit zwei anderen Ehrenamtlichen bis nachts um halb vier mit dem Transporter unterwegs, um Obdachlose aufzusuchen, ihnen Essen und Trinken anzubieten und sie, falls nötig, mit Schlafsäcken oder warmer Kleidung auszustatten.
Obdachlose Frauen: Schwanger auf der Straße
Plötzlich kommt ein kräftiger Mann um die Ecke, eine halbleere Schnapsflasche in der Hand, umarmt die Helferin, und auch Malte Petrikat wird wie ein alter Bekannter begrüßt. Der gebürtige Pole hat Neuigkeiten: Seine Freundin habe jetzt einen Termin für den Kaiserschnitt, Mitte Januar werde das Baby morgens geholt. Feyza Bayraktar und Malte Petrikat haben schon Sachen für das Neugeborene besorgt und versprechen ihm, dass das Paar die Tasche rechtzeitig vor der Geburt bekommen wird. Ob auch Windeln und ein Schnuller darin seien, will er wissen. Ja, die seien auf jeden Fall dabei.
Der obdachlose Mann und seine Freundin Justyna erwarten ein Mädchen, es ist sein sechstes und ihr fünftes Kind. Sie schlafen auf der Straße in einem Zelt, am Rande der Stadt. Justyna friert und hat starken Husten – obwohl sie auf einer Luftmatratze und zwei Isomatten liegt und sie drei Decken wärmen sollen. “Es ist trotzdem kalt”, berichtet die 30-Jährige. Wie es mit ihnen weitergeht, wenn das Kind bald da ist, wissen sie nicht. Justyna will ihr Kind jedenfalls nicht weggeben. Sie rechnet damit, nach dem Krankenhaus in ein Frauenhaus zu kommen.

Eine Wohnung hätten sie bislang nicht bekommen, erzählt die gebürtige Polin. Die 30-Jährige ist seit sieben Jahren in Deutschland. Anfangs habe sie hier auch gearbeitet, dann seien ihr aber alle Papiere geklaut worden, sagt sie. Sie habe ihre Arbeit verloren und lebe nun seit drei Jahren auf der Straße. Bürgergeld bekomme sie keines. Bayraktar und Petrikat sind besorgt. “Wir sprechen gleich mal, was wir machen können”, sagt Feyza Bayraktar.
Kältebus-Angebot: Helfen als Herzensangelegenheit
Die Helferin ist im Hauptberuf Bürokauffrau. Als sie noch pendelte, sah sie täglich die vielen Obdachlosen am Bahnhof. “Ich wollte helfen und bin dann auf den Kältebus gestoßen.” Sie beginnt sich zu engagieren – und bleibt: “Wenn man einmal in der Obdachlosenhilfe ist, kann man nicht mehr wegschauen.” Sie möchte etwas beitragen, sagt Bayraktar – und flitzt hin und her, zwischen Obdachlosen und Kältebus. Sie sehe die Menschen jede Woche, viele seien “Stammgäste”, sagt auch Petrikat. Bayraktar ergänzt: “Ich sehe sie öfter als meine Familie. Sie liegen mir am Herzen.”
Auch Detlev, 59, blickt durch sein Ehrenamt inzwischen anders auf Obdachlose. Er fährt nach der Essensausgabe mit Hannah, 29, einer weiteren Helferin, mit dem Kältebus durch Köln und sucht einzelne Obdachlose auf. Sie fahren an bekannte Plätze und an solche, wo Bürger gemeldet haben, dass dort ein Obdachloser Hilfe brauche. Sie verteilen an diesem Abend weiter warme Mahlzeiten, rufen einmal einen Krankenwagen für eine obdachlose Frau, die von starken Magen- und Rückenschmerzen berichtet. Sie schenken Tee und Kaffee aus und werden nach Jacken in Größe XL und warmen Socken gefragt.
Obdachlose dankbar für Wärme und Hilfe
In einem verlassenen Treppenaufgang voller Graffiti nahe der Südbrücke stoßen sie auf einen jungen Osteuropäer, den sie schon von draußen trällern hören. Ein anderer Obdachloser möchte gleich zwei Kaffee und einen Tee und erzählt dann auf englisch von den Unterschieden zwischen Earl Grey und anderen Schwarztees. Sie fahren durch die ganze Stadt – und weil es heute besonders kalt ist, kommen besonders viele Meldungen von besorgten Bürgern rein. Erst gegen Mitternacht ist die Runde beendet, Detlev muss nun noch den Transporter zurückbringen und die Essensbehälter leeren. Am nächsten Tag klingelt sein Wecker um halb sieben.
“Wir bekämpfen nur die Symptome und nicht die Ursachen”, sagt der 59-Jährige, der bei einer Spedition arbeitet. Manchmal fühle man sich hilflos; gleichzeitig merke man durch die Arbeit, wie gut es einem selbst gehe. Detlev ist schon seit zehn Jahren beim Kältebus engagiert. Natürlich opfere er seine Freizeit dafür, aber: “Ob ich jetzt auf der Couch vorm Fernseher sitze oder etwas Sinnvolles tue…” Der junge Osteuropäer im Treppenturm verabschiedet die beiden Helfer, nachdem sie ihm einen Teller mit dampfendem Essen überreicht haben: “Goodbye, my friends.”