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Haiti zwischen Massakern und Massenabschiebungen

Die Lage im ärmsten Staat der westlichen Hemisphäre ist entsetzlich. Trotz des blutigen Bandenkriegs werden Tausende Haitianer in ihre Heimat abgeschoben. Im Fokus der Medien steht die Krise dennoch nicht.

Dieses Massaker sprengte selbst für haitianische Verhältnisse alle Dimensionen: Die Bande “Wa Mikano” metzelte vor wenigen Tagen in der Hauptstadt Port-au-Prince rund 200 Menschen nieder, die meisten davon im Seniorenalter, aber auch viele Frauen und Mädchen.

Für einen Tag brachte dies Haiti in die weltweiten Schlagzeilen, doch schon kurze Zeit später ist der bettelarme Karibikstaat wieder sich selbst überlassen – sowohl politisch als auch medial. Der Krieg in Nahost, in der Ukraine, der Sturz der Assad-Regierung: All das überstrahlte auch dieses brutale Ereignis. Dabei bräuchte das geschundene Land dringend mehr Hilfe und Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft. Doch die schiebt weiterhin verzweifelte Menschen ab, statt nach Lösungen zu suchen.

Die katholische Kirche spricht von “blinder Gewalt”, die das soziale Gefüge des Landes zerstöre: “Hören wir auf, diese Gewalt zu nähren, die unsere Gesellschaft zerreißt”, heißt es in einer Erklärung der Haitianischen Bischofskonferenz. Sie wendet sich auch direkt an die rivalisierenden Banden, die Haiti im Griff haben: “Lasst uns diese grausamen Taten stoppen. Sie bringen weder dem Land noch seinem Volk, noch Euch, die Ihr sie begeht, etwas Gutes.” Ob dieser Appell gehört wird, ist allerdings fraglich.

Ein weiterer stammt von Ana Piquer, Amerika-Direktorin von Amnesty International: “Wir fordern die haitianischen Behörden und die internationale Gemeinschaft auf, ihre Anstrengungen zum Schutz der Bevölkerung im Kontext der Sicherheitskrise zu verdoppeln.” Die Verantwortlichen für die Massaker und andere schwere Verstöße gegen international geltende Menschenrechte müssten so schnell wie möglich identifiziert und vor Gericht gestellt werden. Nur so könnten sie für ihre Taten zur Verantwortung gezogen werden.

Besonders von der Gewalt betroffen sind Frauen und Mädchen. “Die Rechtsstaatlichkeit in Haiti ist so stark gebrochen, dass Mitglieder krimineller Gruppen Mädchen oder Frauen vergewaltigen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen”, berichtet Nathalye Cotrino, Krisen- und Konfliktforscherin bei Human Rights Watch, über die gezielt angewendete geschlechtsspezifische Gewalt.

Auch sie fordert internationale Hilfe. Aber diese Stimmen werden bisher kaum gehört. Es gibt zwar inzwischen eine Sicherheitsmission unter der Leitung Kenias, doch die ist nicht in der Lage, den kriminellen Banden wirklich Terrain abzuringen. Human Rights Watch appelliert: “Die internationale Gemeinschaft sollte dringend die Mittel für umfassende Programme zur Unterstützung von Überlebenden sexueller Gewalt aufstocken.”

Während Haiti in Gewalt und Blut versinkt, gibt es für jene, die dem Inferno entkommen wollen, von anderer Seite noch mehr schlechte Nachrichten. Das Nachbarland Dominikanische Republik hat sich entgegen allen menschenrechtlichen Bedenken zu Massenabschiebungen entschlossen. Fast 20.000 Haitianer wurden in den vergangenen Wochen zurück über die Grenze gebracht. Auch die USA schieben ab; egal, was die Flüchtlinge in Haiti erwartet.

Das Land steckt seit Jahren in einer schweren innenpolitischen Krise. Nach dem Mord an Staatspräsident Jovenel Moïse 2021 bauten illegale bewaffneten Banden ihre Macht aus und terrorisieren die Bevölkerung. Fast die Hälfte der Bevölkerung, etwa 4,9 Millionen Menschen, habe nicht genug zu essen, um gesund zu überleben, hieß es zuletzt aus UN-Kreisen. Haiti gilt ohnehin als das ärmste Land der westlichen Hemisphäre. Es wurde immer wieder von Naturkatastrophen wie Erdbeben und Wirbelstürmen erschüttert, zuletzt kam eine Cholera-Welle hinzu, die Hunderte Tote forderte.