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Gut versorgt zu Hause

Alte und kranke Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, möchten am liebsten in den eigenen vier Wänden gepflegt werden. Doch aktuellen Meldungen zufolge finden mitt-lerweile Hunderte Pflegebedürftiger in Deutschland keinen Pflegedienst mehr. Der Berliner Diakonie-Pflegeexperte Peter Bartmann, Leiter des Zentrums Gesundheit, Rehabilitation und Pflege Diakonie Deutschland, sieht die Situation in ländlichen Regionen teilweise kritischer als in den Städten, weil lange Anfahrtswege die Versorgung erschwerten. Verallgemeinern könne man das aber nicht. Auch in teuren Ballungsräumen, wie etwa München, würden Pflegekräfte fehlen, weil sie sich die Mieten dort von ihrem Gehalt kaum leisten könnten.
Laut einer bundesweiten Erhebung des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung (dip) in Köln gab mehr als jeder zweite Dienst an, dass er im Jahr 2015 Anfragen aufgrund eines Personalmangels nicht beantworten konnte. In der Zwischenzeit habe sich diese Situation verschärft, sagte dip-Vorstandmitglied Michael Isfort: „Uns erreichen Meldungen von ambulanten Diensten, die berichten, dass sie der 15. Dienst waren, der von Familien bei der Suche nach Betreuung angefragt wurde.“ Die Pflegedienste reagieren nach Isforts Angaben auf die Engpässe, indem sie Anfragen an andere Dienste weitergeben oder Leistungen in einigen Familien reduzieren, um zusätzliche Klienten aufnehmen zu können.

Die Versorgungslücke wird immer größer

So teilte der in Berlin ansässige Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) kürzlich mit, dass sich in der ambulanten Pflege im Saarland, in Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen (NRW) eine „immer größer werdende Versorgungslücke“ auftue. Im Saarland hätten innerhalb von zwei Monaten fast 500 Anfragen abgelehnt werden müssen, weil die benötigten Fachkräfte fehlten. In Niedersachsen würden jeden Monat 5000 Pflegebedürftige abgewiesen. Und ebenso müssen Ambulante Pflegedienste in Nordrhein-Westfalen nach Angaben ihrer Dachverbände zunehmend Menschen wegschicken (siehe Kasten).
Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz warnte in Dortmund, dass viele der bundesweit 13 300 Dienste Anfragen wegen Personalmangels ablehnen müssten. Wer das Glück habe, einen ambulanten Dienst zu finden, werde dann oft in besonderem Maß abhängig und akzeptiere schnell alle Bedingungen, warnte Vorstand Eugen Brysch. So träten immer wieder Fälle auf, in denen ambulante Pflegedienste kurzfristig den Pflegevertrag kündigen. „Es braucht klare Regeln, damit Pflegebedürftige nicht Opfer der Willkür eines angespannten Marktes werden.“
Die Patientenschützer fordern deshalb ein eigenständiges Bundesgesetz für ambulante Pflegedienste – nach dem Beispiel des seit 2009 geltenden Gesetzes für Pflegeheimverträge. Die Stiftung übersandte den zuständigen Bundestagsabgeordneten dazu ein Eckpunktepapier. Das Anliegen dürfte auf offene Ohren stoßen. Denn Union und SPD hatten im Koalitionsvertrag bereits vereinbart, Verbraucherrechte bei ambulanten Pflegeverträgen zu stärken. Brysch appellierte an Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die Pflegebedürftigen „auf Augenhöhe mit den ambulanten Pflegediensten zu bringen“.
Zwar schließen Pflegebedürftige und ambulante Dienste schon heute einen Pflegevertrag. „Doch die gesetzlichen Anforderungen an solche Verträge sind lückenhaft“, beklagen die Patientenschützer. Auch das Bürgerliche Gesetzbuch regele zwar detailliert das soziale Mietrecht; vergleichbare gesetzliche Vorschriften zum Schutz der pflegebedürftigen Menschen aber fehlten. Dies gilt insbesondere, wenn die Unterstützung eines Pflegedienstes oder der Wechsel eines Dienstes nach Kündigung notwendig ist. Denn dann  ist oft Eile geboten. Alle Beteiligten sind durch die akute Situation schwer belastet. „Bisweilen unterzeichnen sie vorschnell einen Pflegevertrag, selbst ohne die eigenen Rechte und Pflichten hinreichend zu kennen. Auch informieren die Pflegedienste oft nicht umfassend“, wissen die Patientenschützer aus zahlreichen Beratungsgesprächen.

Letzter Ausweg: Umzug ins Pflegeheim

Erhöht etwa der Pflegedienst kurzfristig oder gar rückwirkend das Entgelt, geraten Pflegebedürftige und ihre Angehörigen schnell in eine schwierige Situation. Wird ein Pflegevertrag kurzfristig gekündigt, muss schnellstmöglich Ersatz gefunden werden. „Aufgrund der angespannten Marktlage ist dies oft nicht möglich. Findet sich kein neuer Pflegedienst und können Angehörige nicht einspringen, bleibt als letzter Ausweg nur der Umzug in ein Pflegeheim“, heißt es im Eckpunktepapier.
Die Patientenschützer fordern, in einem Bundesgesetz verbindlich festzuschreiben, dass Pflegedienstverträge ausschließlich schriftlich, standardisiert und verständlich sein müssen. Leistungsbeschreibungen hätten transparent und vergleichbar zu sein. „Auch darf der Anbieter den Vertrag nur mit einer Frist von mindestens sechs Wochen kündigen können. Nur so hat der Pflegebedürftige die Chance, rechtzeitig eine Alternative zu finden“, betonte Brysch. Ebenso soll eine Preiserhöhung nur noch nach rechtzeitiger Ankündigung und Begründung möglich sein.