Der Alm-Öhi ist ein arger Kauz. Die Leute aus dem Dörfli mögen ihn nicht, sagen, dass er böse ist und ein gottloses Leben führt. Als seine fünfjährige Enkelin Heidi von ihrer Tante zu ihm gebracht wird, da sind alle sicher: Das kann nur schiefgehen.
Doch das Gegenteil ist der Fall. Die Kleine entdeckt dort oben ihr Paradies. Ist so glücklich wie nie zuvor in ihrem Leben. Nach und nach macht sie aus ihrem Großvater, dem Öhi, einen anderen Menschen. Plötzlich kann er wieder lächeln, sich den Nachbarn vorsichtig zuwenden, zeigen, dass er ganz anders ist als die Leute immer glauben.
Das Kind erobert die Gunst eines alten Mannes, dessen Herz im Grunde schon immer groß und weit war. Man musste es nur hinter einem Panzer aus Verbitterung wieder hervorholen, mit der Liebe eines Kindes streicheln, das keine Vorurteile und Hassgefühle kennt.
Im Buch wird Heidi irgendwann von den Großkopferten in die Schule geschickt, doch in Wahrheit ist sie es, die den Erwachsenen eine Lektion erteilt. Sie zeigt ihnen, was das wahre Leben und wer ihr wahrer Großvater ist.
Der Alm-Öhi kehrt zurück zu Gott
Unzählige Male ist der 1880 von Johanna Spyri verfasste Roman verfilmt worden. 1965 spielte Gustav Knuth die Rolle des Alm-Öhi, erst vor wenigen Wochen kam eine Neuverfilmung mit Bruno Ganz in die Kinos. Doch was in den Filmen nur selten herauskommt, wird in dem Buch überdeutlich: Die Rückkehr des Alm-Öhi zu den Menschen ist auch eine Rückkehr zu Gott.
Als Heidi nach langer Zeit schließlich aus Frankfurt zurückkehrt, da geht der überglückliche Alte mit ihr in die Kirche und betet. Und die Dörfler sagen voller Staunen: „Hast du das gesehen? Der Alm-Öhi ist in der Kirche.“ Als im letzten Kapitel die Frankfurter Großmama die Hände des Öhi ergreift und ihm überschwänglich dankt, weil ihre Enkelin Klara nun plötzlich auch wieder gehen kann, da schränkt er ein: Nein, nicht er alleine habe es bewerkstelligt, es war auch „unseres Herrgotts Sonnenschein und Almluft“.
Eine ganz ähnliche Großvater-Bekehrungsgeschichte ist die des „Little Lord Fauntleroy“. Die meisten kennen nur seine Verfilmung mit dem knorrigen Alec Guiness in der Hauptrolle: „Der kleine Lord“ aus dem Jahre 1980 gehört zu den Klassikern des Weihnachtsfernsehens und rührt die Zuschauer jedes Jahr aufs Neue zu Tränen.
Im Gegensatz zum wortkargen Alm-Öhi ist der Großvater des kleinen Lords ein sehr gesprächiger Mensch. Haargenau erklärt er seinem Enkel, dem kleinen verzogenen Amerikaner, was einen zukünftigen „Earl of Dorincourt“ erwartet. Der kaltherzige Alte tut alles, um den verzogenen Bengel kleinzukriegen, damit aus ihm am Ende genau das wird, was der Earl selbst schon immer war: ein Mann der Grundsätze und Selbstdisziplin, frei von jeglicher Emotionalität und Schwäche.
Allein es kommt ganz anders, als der alte Herr es geplant hat. Nicht er dreht den Kleinen um, sondern der Kleine ihn. Der Großvater kann sagen und machen, was er will: In allem sieht Cedric, der kleine Lord, nur das Gute. Am Ende der Kindererziehung steht kein neuer Enkel, sondern ein neuer Großvater: Schicht für Schicht befreit ihn der Junge von seiner rauhen Schale und macht aus ihm etwas, was er selbst nicht für möglich gehalten hätte: einen Menschen voller Güte und Herzlichkeit, der durch die Zuwendung eines Kindes wieder gelernt hat zu lieben und zu leben.