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Gottfried Forck – der Mann, der Spuren hinterließ

Bischof Gottfried Forck hat unauslöschbare Spuren hinterlassen. Am 6. Oktober vor 100 Jahren wurde er geboren. Die EKBO lädt in die Berliner Marienkirche zur Andacht mit Festvortrag und Empfang.

Gottfried Forck
Gottfried ForckIMAGO / Ulli WInkler

Das Foto ist etwas vergilbt, doch die Erinnerung ganz nah. Es stammt aus den Oktobertagen der Friedlichen Revolution 1989. Tausende besuchten die Fürbittandachten in der Berliner Gethsemanekirche. Auch Bischof Gottfried Forck ist Abend für Abend dabei. Auf dem Foto ist er auf den ersten Blick gar nicht zu sehen. Denn er sitzt inmitten der Menschen auf dem Boden neben dem Rednerpult. Gerade hat er unter großem Beifall die Freilassung von Inhaftierten in der überfüllten Kirche verkündet. Dass er selbst daran einen nicht unerheblichen Anteil hat, verschweigt er.

Das Foto sagt sehr viel über Gottfried Forck, der vor 100 Jahren am 6. Oktober in einem Thüringer Pfarrhaus in Ilmenau geboren wurde. Als Theologe und Seelsorger hat er durch seine Aufrichtigkeit und Glaubwürdigkeit unauslöschbare Spuren hinterlassen. Und dazu zählt vor allem, dass Menschen den aufrechten Gang lernten und im Herbst 1989 gewaltlos das Ende einer Diktatur erstritten. Gottfried Forck hat ihnen dazu die geistliche Basis gegeben.

Kraft für die Welt kam aus dem Evangelium

Die Erinnerung an ihn widerlegt die Behauptung, Kirche habe beim „Eigentlichen“ zu bleiben und folglich in der Welt nichts zu suchen. Seine Kraft für eben diese Welt hat er aus dem Evangelium geschöpft, auf das er sich immer wieder berufen hat. „Eine Widerstandsbewegung gegen die Hoffnungslosigkeit“ hat der Magdeburger Altbischof Werner Krusche das einmal genannt. Mit einer Mischung aus Bescheidenheit und Klarheit, die auch schon mal unbequem sein konnte, war Gottfried Forck dabei immer nah bei den Menschen: von denen, die im Herbst 1989 gewaltlos auf der Straße waren, bis hin zu ungezählten Spitzenpolitikern, die er in seinem bescheidenen Amtszimmer in der Neuen Grünstraße empfing.

Kein Hilfesuchender wurde abgelehnt

Sein persönlicher Referent, der spätere Generalsuperintendent Martin Michael Passauer, erinnert sich an die vielen Hilfesuchenden, unter ihnen zahlreiche mit einem Ausreiseantrag, die auf der Treppe in der Neuen Grünstraße auf ein Gespräch mit ihm warteten. Keinen hat er abgewiesen. Selbstdarstellung, Eitelkeit waren ihm, der zehn Jahre an der Spitze der Ostregion der Berlin-brandenburgischen Kirche stand, zuwider. Gerade darum war er wohl so beliebt und schon zu Lebzeiten hochgeachtet. Das war so, als er im Präsidium der Ökumenischen Versammlungen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung mitwirkte, deren Texte bis heute hochaktuell und nicht eingelöst sind. Unvergessen ist auch seine Anwesenheit bei den Fürbittandachten und Mahnwachen in der Berliner Zionskirche nach der nächtlichen Durchsuchungsaktion der Umweltbibliothek. Er kam Abend für Abend, seine erste Frau Renate lag damals im Sterben.

Einsatz für Freilassung von Bürgerrechtlern

Gottfried Forck 9.10.1989 in der Gethesemanekirche
Gottfried Forck 9.10.1989 in der GethesemanekircheIMAGO / epd

Nach den Verhaftungen mehrerer Bürgerrechtler im Januar 1988 besuchte er sie persönlich und setzte sich für deren Freilassung ein. Im Mai 1989 war er für hunderte von Menschen Vertrauensperson, die ihn baten, ihren Protestbrief gegen den Wahlbetrug im Staatsrat abzugeben. Sechs Jahre zuvor, im Herbst 1983 auf dem Höhepunkt des Wettrüstens zwischen Ost und West, hatte die SED mehrere Friedensgruppen daran gehindert, in den Botschaften der Sowjetunion und der USA Petitionen gegen den Rüstungswettlauf abzugeben. Damals erklärte er sich spontan bereit, sie zu übergeben, was nicht nur die Diplomaten in den Botschaften, sondern auch die SED-Führung in große Verlegenheit brachte. „Er hat theologische Stärke bewiesen, als er, statt kirchenpolitisch zu lavieren, energisch und klar für die oppositionellen Gruppen eintrat“, hat der Erfurter Propst Heino Falcke einmal gesagt.

Kirchenzeitung stand unter seinem Schutz

Mit dieser Klarheit stand er dann auch als Herausgeber der Evangelischen Wochenzeitung „Die Kirche“ an der Seite der Redaktion und der damals 40 000 Abonnenten. Allein 1988 durften fünf Ausgaben der Zeitung nicht erscheinen, in der Osternummer dann hatte die Redaktion an den wegzensierten Stellen weiße Flecken gelassen. Nie hat er eingegriffen, im Gegenteil. Die Redaktion konnte sich seiner Rückendeckung aus Überzeugung sicher sein. „Er hat für eine solidarische Kirche gestanden, die sich politisch mit dem Evangelium einzumischen hat, wo Menschenrechte wie das auf Pressefreiheit gefährdet sind“, sagt im Rückblick der langjährige Chefredakteur Gerhard Thomas. Sein Herz schlug für die jungen Menschen. Und zwar auch für die, die sich nicht in den jungen Gemeinden engagierten oder überhaupt zur Kirche gehörten. Dazu zählt, dass er sich kurz nach seinem Amtsantritt 1981 das Zeichen „Schwerter zu Pflugscharen“ auf seine Aktentasche heftete, um damit seine Solidarität mit den vielen jungen Menschen zu unterstreichen, die um des Zeichens willen von der SED verfolgt und in Existenznot gebracht wurden. Gottfried Forck hat diese Tasche auch bei den Gesprächen mit den Vertretern des Staates getragen.

Leutnant zur See auf einem U-Boot

Dabei war er selbst nach der Entlassung aus der Schule Offiziersanwärter der Marine, später Leutnant zur See auf einem U-Boot gewesen. Er geriet in amerikanische Gefangenschaft, legte 1947 das Abitur ab. Nach Abschluss des Theologiestudiums in Bethel, Heidelberg und Berlin war er seit 1954 Studentenpfarrer an der Ost-Berliner Humboldt-Universität, später Gemeindepfarrer in der Niederlausitz, von 1963 an Direktor des Brandenburger Predigerseminars. 1973 berief ihn die Kirchenleitung zum Generalsuperintendenten des Sprengels Cottbus. Im Herbst 1981 übernahm er von Albrecht Schönherr das Bischofsamt seiner Kirche, die von der deutschen Teilung wie keine andere der protestantischen Landeskirchen in Deutschland betroffen war. Unter dieser Trennung hat er wie viele seiner Gemeinden gelitten. Doch auch nach dem Mauerfall hat Gottfried Forck, dem damals ein hohes politisches Amt angetragen wurde, das er aber ausschlug, nachhaltige Spuren hinterlassen. Und zwar noch weit über das Ende seines Bischofsamtes im September 1991, das um drei Jahre verlängert worden war. Mit seinen Warnungen vor übereilten Schritten im Vereinigungsprozess, vor neuem Untertanengeist oder wachsender Ausländerfeindlichkeit im Land hat er wiederholt zu öffentlichen Auseinandersetzungen beigetragen.

Parteinahme für Hausbesetzer und gegen Wohnungsspekulation

Seine Parteinahme für Hausbesetzer und gegen Wohnungsspekulanten gehören ebenso dazu wie die Vermittlung der Aufnahme von Erich Honecker im Pfarrhaus von Lobetal. Oder sein Eintreten für ein neues, vom Ost-Berliner Stadtjugendpfarrer Wolfram Hülsemann und seiner damaligen Mitarbeiterin Marianne Birthler vor dem Hintergrund der Säkularisierung angeregtes Fach „Lebensgestaltung, Ethik, Religion“. Die Regierung forderte er auf, den Entwicklungsländern die Schulden zu erlassen und trat für gewaltlose Wege der Konfliktlösung ein – international wie auch im Land selbst. Wie andere musste er dabei erfahren, dass die Vision einer gewaltlosen Welt in weiter Ferne lag. Und doch hat er bis zu seinem Tod Heiligabend 1996 in Rheinsberg daran festgehalten.

Gottfried Forck beim Festgottesdienst 100 Jahre Gethsemanekirche 1993
Gottfried Forck beim Festgottesdienst 100 Jahre Gethsemanekirche 1993IMAGO / Rolf Zöllner

Wieder zeugt ein Foto davon, das wohl ein oder zwei Jahre vor seinem Tod aufgenommen wurde: Es zeigt Gottfried Forck neben seiner zweiten Frau Beatrix inmitten der Demonstranten für eine friedliche Nutzung der Wittstocker Heide. „Wir müssen selbst mehr Menschlichkeit, mehr Geduld, mehr Gerechtigkeit haben, um andere zu überzeugen“, hat er einmal gesagt. Er hat das vorgelebt und so seiner Kirche nicht nur zu großem Ansehen, sondern auch zu neuer Glaubwürdigkeit in Gesellschaft und Politik verholfen. Und er hat damit ein Vermächtnis hinterlassen, das aktueller nicht sein könnte.

Am 6. Oktober, um 15 Uhr findet ein Festakt in der Berliner Marienkirche anlässlich des 100. Geburtstages von Gottfried Forck statt. Mehr Informationen unter der Webseite der EKBO.