Als Paul Gerhardt 1666 den Text „Die güldne Sonne“ schrieb, hatte er alles andere im Sinn, als wissenschaftliche Erkenntnisse zu verbreiten. Der Hymnus auf die Sonne (Evangelisches Gesangbuch
Nr. 449) galt vielmehr dem Lobpreis des Schöpfers. Doch heute bestätigt die moderne Astrophysik zumindest die erste Zeile seines Liedes, das seit über 350 Jahren gesungen wird: Nirgendwo gibt es mehr Gold als in der „güldnen Sonne“.
Die Sonne gilt als Lebensstern
Die Sonne gilt in allen Religionen als der „Lebensstern“ schlechthin. Von ihr stammt alle Wärme und Energie, die das Leben auf dem Planeten Erde erst möglich macht. Ihr scheinbarer Auf- und Untergang bestimmt den Rhythmus von Tag und Nacht, und von ihrem Licht ist alles abhängig, was auf der Erde „kreucht und fleucht“.
In welchem Umfang die Sonne alles Leben dominiert, wurde erst langsam im Laufe der wissenschaftlichen Forschung klar – viele Jahrhunderte lang war es „Ahnungswissen“, das die Dichter und manchen Theologen dazu trieb, ihr zu huldigen – auch mit der Zeile von der „güldnen Sonne“.
Nirgendwo gibt es mehr Gold als auf der Sonne
Heute wissen die Astrophysiker, dass diese Zeile stimmt. Im Umkreis von einigen Lichtjahren gibt es nirgendwo mehr Gold als auf der Sonne. Sie enthält allein wegen ihrer Größe 99,99 Prozent aller Materie des gesamten Planetensystems – inklusive der Erde, des Jupiter, des Saturn und aller anderen Himmelskörper des Sonnensystems.
Auf der Erde wurden bislang geschätzt knapp 200 000 Tonnen Gold zu Tage gefördert – und niemand weiß, wieviel es insgesamt sein mögen, die noch zu finden wären. Aber aus den Materie-Relationen zur Sonne ergibt sich, dass in ihr fast 100 Prozent mehr Gold stecken muss als auf der Erde. Also eine Menge, die selbst die „Fantastillionen“ eines Dagobert Duck zu einem bloßen Witz degradiert. Zugleich ist das Gold auf der Sonne vor jeglichem Diebstahl bestens geschützt: Sie ist der sicherste Tresor, der sich denken lässt, schrieb der Astrophysiker Rudolf Kippenhahn 1990 in seinem Buch „Der Stern, von dem wir leben“.
Poetisch schön und astronomisch korrekt geht es auch in einem anderen Lied des Gesangbuches zu: „Der Tag, mein Gott, ist nun vergangen“ (Nr. 266). Dort heißt es in der zweiten Strophe: „Die Erde rollt dem Tag entgegen“. Der deutsche Text entstand erst 1964 – als Nachdichtung des englischen Originals aus dem Jahr 1870. Nur wegen der Eigendrehung der Erde scheint die Sonne über den Himmel zu wandern. Und wenn sie hierzulande untergegangen ist, bricht bei uns die Nacht herein – und auf der anderen Seite der Erde der Tag. So heißt es in der vierten Strophe des Liedes: „Die Sonne, die uns sinkt, bringt drüben den Menschen überm Meer das Licht“.
Die berühmteste und zugleich umstrittenste Bibel-Stelle über die Sonne steht im alttestamentlichen Buch Josua, Kapitel 10. Dort heißt es: „Und die Sonne blieb stehen, und der Mond stand still, bis das Volk an seinen Feinden Rache genommen hatte“. Noch Martin Luther pflichtete dem bei, wenn er kommentierte: „Aber wie die heilige Schrift anzeigt, so hieß Josua die Sonne still stehen, und nicht das Erdreich“, schrieb er. Luther hatte es nicht so mit seinem Zeitgenossen Nikolaus Kopernikus (1473-1543) und dessem neuen Weltbild.
In der Bibel hält Gott die Sonne an
Dabei ist es astronomisch etwas komplizierter als es scheint. Denn in Relation zur Erde ist es durchaus die Sonne, die stillsteht – und zwar immer. Ihr scheinbarer Lauf über den Himmel wird eben allein durch die Erddrehung verursacht. Josua hätte also die Erde anhalten müssen – nur dann hätte die Sonne still gestanden. Der Mond allerdings nicht – weil er sich als treuer Trabant selbstständig um die Erde dreht.
Wer allerdings die Erddrehung zum Stillstand bringen wollte – ganz unabhängig von der Frage, wie das zu bewerkstelligen sein sollte –, nähme verheerende Folgen in Kauf. Denn alle beweglichen Dinge wie das Wasser aller Meere und die gesamte Atmosphäre wurden ja aus Gründen der Trägheit in ihrer von der vorherigen Rotation verursachten Bewegung fortfahren. Die Folge wären kilometerhohe Flutwellen und ein gewaltiger Gesamt-Orkan, die über den stillstehenden Erdkörper hinwegzögen … Besser also, man lässt es und schreibt die Bibelstelle getrost einem veralteten Weltbild zu.
Völlig korrekt ist es übrigens keineswegs, zu sagen, dass die Sonne stillsteht. Tut sie nämlich nicht. Sie dreht sich alle 25 Tage einmal um sich selbst. Und sie bewegt sich – mitsamt ihrem ganzen Planetensystem – äußerst temporeich durch die Sternenwelt: Mit 250 Kilometern pro Sekunde flitzt sie unentwegt rund um das 27 000 Lichtjahre entfernte Zentrum der Milchstraße. Zwischen 225 und 250 Millionen Jahre dauert so ein Törn – da sind die Astronomen im Einzelnen großzügig. Bei einem Alter von knapp 4,6 Milliarden Jahren ist die Sonne also bereits 18 oder 20 Mal „einmal komplett rum“.
Dass die Himmelsmechanik bei all diesen gigantischen Kreiseln nicht ins Schlingern gerät, ist schon recht staunenswert. Und wir Menschen dürfen auf und innerhalb dieses gewaltigen Super-Karussells für maximal ein paar Jahrzehnte mitfahren – dafür aber permanent kostenlos. Wenn das nichts ist!