Predigttext
1 Wahrheit sage ich in Verbundenheit mit dem Messias, ich verbreite nichts Falsches, meine eigenen Urteilskraft bezeugt es mir bestärkt durch die heilige Geistkraft: 2 Ich bin zutiefst traurig, steter Schmerz wohnt in meinem Herzen. 3 Ich wünschte nämlich, anstelle meiner Geschwister, meiner leiblichen Verwandten, selbst gebannt und vom Messias getrennt zu sein. 4 Sie sind Israelitinnen und Israeliten, denen die Gotteskindschaft zu eigen ist, die göttliche Gegenwart, die Bundesschlüsse und die Gabe der Tora, der Gottesdienst und die göttlichen Verheißungen. 5 Ihnen gehören die Väter und Mütter an, aus ihrer Mitte stammt der Messias. Gott, lebendig über allem, sei gesegnet durch Zeiten und Welten, Amen.
Übersetzung im Anschluss an Bibel in gerechter Sprache
Alle, die Geschwister haben, wissen, was für ein Schatz einem damit geschenkt ist (und wer keine hat, wird ähnliche Erfahrungen zum Beispiel aus engen Freundschaften kennen). Zwar wird es fast immer auch Konflikte geben, schon bei den ganz Kleinen sind nicht selten Eifersucht und Rangstreit im Spiel. Doch schließt das große Liebe, inniges Verstehen und zuverlässige gegenseitige Hilfe nicht aus. Welch ein Reichtum für das ganze Leben!
Wenn Paulus von Christus spricht, greift er offenkundig solche Erfahrungen auf. Im Brief an die Gemeinde in Rom geht es darum, was der Gottessohn Jesus Christus für alle Menschen bedeutet. Paulus kann das in dem Bild zusammenfassen, dass wir alle durch seinen Geist zu Söhnen und Töchtern Gottes werden (Römer 8,14-16). Und damit zu Geschwistern des Messias! So wie dieser uns Beten gelehrt hat: „Vater unser…“
Doch mit unserem Text stellt sich Paulus der Frage, warum die meisten Menschen seines Volkes, warum die Mehrheit der Juden und Jüdinnen seinen Glauben nicht teilen. Diese Trennung von den leiblichen Verwandten, seinen Geschwistern, versetzt ihn in tiefe Trauer (Vers 2). Und die treibt ihn zu einem einzigartigen Nachdenken über die Wege Gottes.
Zu Beginn zählt er alles auf, was Gott diesem Volk geschenkt hat – das ist eine Zusammenfassung der wichtigsten Inhalte des Alten Testamentes. Da ist die Gegenwart Gottes, man denke an die Wolken- und Feuersäule; da sind die Bundesschlüsse, man denke an Abraham und an den Sinai; da ist die Gabe der Tora, die mit den Zehn Geboten beginnt; da ist der Gottesdienst, man denke an die Psalmen, die bis heute unsere Gottesdienste bereichern; da sind die Verheißungen, die eine Welt ohne Krieg, ohne Tod und ohne Leid versprechen, unsere Hoffnung für Gegenwart und Zukunft. Von diesem Ausgangspunkt her spürt er in den Kapiteln 9-11 den Wegen Gottes nach. Es sind einzigartige Kapitel, die in der Christenheit oft übersehen wurden. Und er gelangt am Ende zur Gewissheit, dass Gott seine jüdischen Geschwister nicht fallen lässt, ja dass ihr Unglaube an den Messias Jesus zum Weg Gottes gehört, der uns zu Israels Gott geführt hat und dass deshalb ganz Israel auch ohne diesen Glauben gerettet werden wird (11,26).
Am Beginn der Aufzählung von Gottes großen Geschenken an das Volk Israel steht als vielleicht größtes ein weiteres Wort – oft überlesen oder übersehen: Dem Volk Israel eignet die „Gotteskindschaft“. Wörtlich steht da: „die Sohnschaft“. Das Volk Israel ist Sohn Gottes. So sagt es das Alte Testament, und spricht von einer engen, durch Liebe geprägten Beziehung (Hosea 11,1). Gott nennt es „mein erstgeborener Sohn“ (2. Mose 4,22). Paulus und damit das Neue Testament bestätigen das hier.
Welche eine Fülle geschwisterlicher Beziehungen wird damit ausgebreitet! Und wir werden durch Christus in sie hineingenommen. Christus, der Gottessohn, macht uns alle zu seinen Geschwistern. Und damit werden wir zugleich geschwisterlich verbunden mit den Menschen aus Israel, den leiblichen Verwandten des Paulus und des Messias, die seit Langem und jetzt erst recht „Gotteskind“ heißen. Das soll den Reichtum und das Glück unseres Lebens mitprägen.
Vielleicht geht es manchen damit, als wenn man erst spät im Leben entdeckt, dass man eigentlich viele Geschwister hat. Und es hat ja auch Zeiten gegeben, in denen die Christen von manchen dieser Geschwister gar nichts wissen wollten. Was bei Geschwistern immer möglich ist, Eifersucht, Neid, Streit, hat die positiven Beziehungen lange verdrängt. Aber Gott selbst steht im Zentrum und macht uns alle zu seinen Kindern und damit zu Geschwistern.
Wenn am 10. Sontag nach Trinitatis, am Israelsonntag, dieser Text gepredigt wird, sollte das dazu beitragen, dass dieser Tag ein Freudentag wird. Er müsste und könnte zu den großen Festen der Kirche gehören, denn es wird unsere Herkunft gefeiert und damit zugleich die Fülle der engen geschwisterlichen Beziehungen, die uns durch Christus geschenkt werden.