„In unserem Kirchengemeinderat kam die Frage auf, wie wir uns als Christen zu den derzeitigen Kriegen auf der Welt verhalten sollten“, erzählt Pastor Martin Wiesenberg von der evangelischen Kirchengemeinde im vorpommerschen Demmin. Deshalb luden sie sich Militärbischof Bernhard Felmberg ein, zu Gespräch und Diskussion.
Felmberg ist seit 2020 Leiter der evangelischen Militärseelsorge in Deutschland. Diese ist in Deutschland nicht in der Hierarchie der Bundeswehr eingebunden, anders als in anderen europäischen Ländern. Sie sei aber immer mit dabei. „Wir nennen das ‚kritische Solidarität‘“, erklärte Felmberg. Unter den Soldatinnen und Soldaten sei der Ruf der Militärseelsorge gut. „Kirche ist dann wichtig, wenn sie eine Relevanz hat für die Menschen, wenn spürbar ist, dass du den Unterscheid machst, als Pfarrer oder Pfarrerin, dass du den Unterschied machst im Zusammenleben und wir heißten nicht umsonst Seelsorge. Wir heißen nicht Militärkirche. Das ist gerade nicht so schlecht, weil alles was mit Kirche in Verbindung gebracht wird, gerade etwas modrig riecht, scheinbar“, sagte Militärbischof Felmberg.
Krieg hat eine ganz andere Dimension
Kurz nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine rief er alle seine 104 Seelsorgerinnen und Seelsorger zusammen. Es stand die Frage im Raum, was sich nun ändere. „Wir kennen Einsätze und auch die Folgen bei Soldatinnen und Soldaten wie posttraumatische Belastungsstörungen. Aber dies hatte jetzt eine ganz andere Dimension“, sagte Bischof Felmberg in Demmin. Krieg und Gewalt bedeute immer Leiden und dass der Mensch Schaden nimmt an Körper und Seele: „Jeder Soldat ist der letzte, der sagt, Krieg ist eine Sache, die ich mir wünsche. Sondern derjenige, der vorne steht, der weiß, was passiert, wenn man vorne steht. Dass man da sein Leben verlieren oder das Leben anderer nehmen kann.“ Deshalb könnten wir froh sein, dass es in Deutschland eine Bundeswehr gibt, in der wir Menschen hätten, die rein für den Verteidigungsfall ausgebildet werden würden und die ein Wertegerüst in sich tragen, was immer wieder reflektiert werde.
Aus theologischer Sicht sei der Mensch nicht gut. „Wir haben viele Jahrzehnte geglaubt und so gelebt, als ob alle Thematik der Gewalt überwunden wäre. Das ist ein sehr positives Bild vom Menschen, was wir viele Jahrzehnte miteinander geteilt haben. wir werden in eine Wirklichkeit mit aller Gewalt zurück geschmissen, die deutlich macht, dass der Mensch nicht nur gut ist, sondern dass im Menschen Dinge schlummern, die schwierig und böse sind“, ist Felmberg überzeugt. Die Gesellschaft müsse sich diesem neuen Denken stellen. Das habe politische Konsequenzen. “Wir wissen, dass es Staaten gibt, die andere überfallen. Das macht was mit uns Christinnen und Christen, weil wir natürlich wollen, dass Frieden herrscht und zurecht auch sagen, bevor irgendwie Gewalt ausgeübt wird, müssen wir doch miteinander reden.”
Gerechten Frieden neu denken
Die Friedensdenkschrift “Aus gerechten Frieden leben” der EKD von 2007 habe als Primat das Reden. “Jetzt auf einmal merken ganz viele in der evangelischen Kirche: Jetzt müssen wir ein bisschen neu denken”, meinte Felmberg weiter. Der Begriff des “gerechten Friedens” sei richtig und eine gute Grundlage, müsse aber neu gedacht werden. Die evangelische Militärseelsorge stelle sich dem mit der Debattenschrift „Maß des Möglichen“.
Was in der heutigen Zeit adäquat ist, müsse zudem jeder Christ, jede Christin selber abwägen: „Das Neue Testament bietet da für alle was vom Radikalpazifismus bis hin zur Verantwortungsethik.“ In der Haut der Politik möchte Militärbischof Felmberg deshalb gerade nicht stecken. „Krieg ist kein Mittel des Handelns, außer in der Verteidigung. Das wichtigste ist jetzt, dass wir keine Kriegspartei werden. Dann können wir weiter agieren, aber das ist ein sehr schmaler Grat“, ist der Militärbischof überzeugt.
Waffenlieferungen: Keine leichte Frage
Den schmalen Grat sieht er auch bei der Frage, wie Waffenlieferungen mit dem Glauben zu begründen sind. Für ihn sei dies keine leichte Frage: „Du kommst ohne Schuld aus der Nummer nicht raus. Waffenlieferungen zur Verteidigung sind völkerrechtlich adäquat. Ich bin auch der Auffassung, dass man einen Diktator nicht mit warmen Worten erreicht.“ Das hätten wir 1945 gesehen. Ohne die totale Kapitulation Deutschlands sei ein Neuanfang kaum möglich gewesen. Er verwies auf die christliche Theologie: „Der Tyrannenmord ist ein legitimes Mittel in der christlichen Geschichte.“
Die Einstellung und Stimmung zur Bundeswehr in der Gesellschaft habe sich aus Sicht des Militärbischofs gerade in den letzten Jahren spürbar geändert. „Das fing an mit der Corona-Hilfe, als das Gesundheitssystem völlig überlastet war, ging weiter mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und die Hilfen der Bundeswehr bei der Überschwemmung im Ahrtal“, sagt Felmberg. Auch innerhalb der EKD habe der Umgang mit der Militärseelsorge eine andere Qualität: „Da ist ein Teil unserer Kirche, die in seelsorgerlichen Dingen die hohe Kompetenz hat, wie man mit belasteten, traumatisierten umgeht. Die Seelsorger sind Menschen, die bereit sind, auch andere dahin zu begleiten für vier fünf Monate am Stück, um bei ihnen zu sein. Da kann die Kirche auch was von lernen“, ist Bernhard Felmberg überzeugt.
“Die Gesellschaft muss merken, es gibt eine andere Zeit”
Dennoch sei die Bundeswehr nur ein kleiner Bereich innerhalb einer großen Gesellschaft. Das, was die Gesellschaft mitbekäme, sei derzeit „so gut wie gar nichts“. Felmberg meinte weiter: „Ich glaube, es wird einen Schritt nach Außen geben. Wo wir sagen, wir brauchen ein Gesellschaftsjahr oder ähnliches. Die Gesellschaft muss merken, es gibt eine andere Zeit.“
Die Demminer Kirchengemeinde gehört zur Nagelkreuzgemeinschaft von Coventry. Gerade das Thema Versöhnung stehe für viele Gläubige deshalb auch im Vordergrund. „Das ist absolut richtig, aber du kannst über Versöhnung erst reden, wenn diese dran ist. ‚Alles hat seine Zeit‘“, zitierte der Militärbischof Salomo. Auch dürfe bei Kriegsende der Keim des Revanchismus nicht gelegt werden. „Das, was wir jetzt in der Ukraine sehen, ist eine Folge des Zusammenbruchs der Sowjetunion. Für Putin war dies das schlimmste, was er damals in Deutschland lebend, erlebt hat“, meinte der Militärbischof.
Bernhard Felmberg ist überzeugt, dass es nicht die eine ultimative Antwort des christlichen Glaubens und auch nicht der Kirche gebe. „Sie werden sich annähern, aber den gordischen Knoten nicht durchschlagen können“, meinte er zu den Besucherinnen und Besuchern der Podiumsdiskussion in Demmin. Hierzu gehöre auch ein gesellschaftlicher Diskurs: „Wir müssen uns Meinungen in friedlicher Art und Weise wieder sagen können.“
Die evangelische Militärseelsorge hat mit “Maß des Möglichen” einen Debattenbeitrag geliefert.